psychologische Sicherheit

Führung von unten leicht gemacht! - Das Phänomen der "Unterwachung"

Wer führt, wird geführt!

-Die Frage ist nur durch wen! Selbst in den hierarchischsten Organisationen findet Führung nicht nur in eine Richtung, nämlich in der Hierarchie nach unten, statt, sondern immer auch von unten nach oben. Offiziell und formell werden Entscheidungen zwar an der Spitze der Organisation getroffen aber die Informationen, auf deren Grundlage die Entscheidungen getroffen werden, kommen von “unten”. So hat die Basis eines Unternehmens großen Einfluss auf ihre Führenden. Dieses Phänomen bezeichnete der große Systemtheoretiker Niklas Luhmann als “Unterwachung”. - Eine systemische Dynamik, die für Chefs und Organisationen geradezu überlebenswichtig ist, sagte er. Das tiefe Eintauchen in Themen ist für Führende häufig ein viel zu großer Aufwand und ich als Coach unterstütze daher die Aussage, dass die Führungskraft stets der/die schlechteste Fachexperte oder -Expertin sein sollte. Diese Aussage stammt übrigens von meiner Chef-Chefin und ich liebe sie für diese Haltung! Aber woher kommt dann die Grundlage für viele Entscheidungen? -Richtig, von “unten”!

Wann Führungskräfte wie tief in die einzelnen Themen einsteigen, ist selbstverständlich ihnen überlassen. Allerdings können sie selbst bei größter Detailorientierung ihre Nasen nur in das stecken, was ihren Horizont auch erreicht. Hierbei muss ich direkt an Gunther Schmidt denken, der mich gelehrt hat, die Macht und den Einfluss von Assistenzen nicht hochgenug einzuschätzen und zu würdigen. Sie sind die Türsteher, die gnadenlos filtern. Das tun sie nicht aus Spaß, sondern weil auch sie Luhmanns Theorien unbewusst verinnerlicht haben: “Würden Untergebene alle Probleme nach oben geben, wären ihre Vorgesetzten verloren”, hat Luhmann dereinst geschrieben. Somit haben Assistenzen und Business Manager natürlich immer auch einen kleinen “Schutzauftrag” und bestimmen gleichzeitig die Strategien eines Unternehmens ziemlich machtvoll mit, indem sie die Chefin oder den Chef strategisch “unterwachen”.

Warum wir alle früher oder später “unterwachen”

Sicher gibt es unterschiedliche Gründe für “Unterwachung”. Ich möchte euch gerne drei vorstellen, Vielleicht findet ihr euch ja irgendwo wieder. Ich persönlich habe mich bei allen dreien schon ertappt:

  1. Die Form der “Unterwachung”, die ich gerne als altruistisch bezeichne: Hier geht es um das Wohl der Organisation, der Abteilung oder des Teams. Man unterliegt der Annahme, die ein oder andere Entscheidung nach Möglichkeiten von der Führung fern zu halten, weil man glaubt, die Mitarbeitenden haben einen besseren Blick für die große Gemengelage und ein besseres Verständnis dafür, was auf Arbeitsebene zu tun oder nicht zu tun ist.

  2. Die Form der “Unterwachung”, die ich als strategisch-egoistisch bezeichne: Haben wir nicht alle schon einmal Entscheidungen bewusst in eine Richtung beeinflusst, weil uns diese strategisch und in Hinblick auf unsere eigenen Weiterentwicklung besser passt?

  3. Die Form der “Unterwachung”, die ich als ausgesprochen ressourcenorientiert bezeichne, weil sie zu einem entspannten Arbeitsalltag beiträgt: Halte ich den Chef mit Aufgaben beschäftigt, die mir nicht wehtun, lässt er mich ansonsten in Ruhe vor mich hinarbeiten.

In der Realität treten diese drei Arten für gewöhnlich als Mischform auf, da das eine häufig mit dem anderen zusammenhängt.

Und dann bilden sich “Unterwachungs-Netzwerke”

Da die Zufriedenheit im Team häufig eine wichtig Basis für meinen individuellen Erfolg darstellt und der Wunsch in Ruhe arbeiten zu können, direkt auch auf die Zufriedenheit im Team bzw. das Wohl der Organisation einzahlt, bilden sich für gewöhnlich ganz automatisch und wie von Zauberhand ganze “Unterwachungs-Netzwerke”. Kaffeeküchen oder Kantinen sind hierbei willkommene Geburtshelfer. Inzwischen tun es aber auch Teams-Kanäle oder Skype!

Laut Luhmann lässt sich das Phänomen der “Unterwachung” nicht unterbinden. Es ist eine Dynamik die in dem Moment losgetreten wird, in dem sich Menschen in hierarchisch organisierten Gruppen zusammenfinden und ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Er bezeichnet dieses Phänomen als “brauchbare illegale Verhaltensweise”, die sich jenseits der Formalstruktur einer Organisation ausbildet und einen wertvollen Beitrag dazu leistet, die Organisation am Laufen zu halten. Als Führungskraft würde mir an dieser Stelle erst einmal angst und bange werden. Ist das Ziel doch meistens eher Verantwortung und Macht, vielleicht sogar Kontrolle und weniger Fremdbestimmung in Kombination mit Verantwortung. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, sich der unterschiedlichen Machtressourcen seines Team bewusst zu sein, um diese entweder für sich zu nutzen, oder bewusst punktuell gegenzusteuern. Generelle Gegensteuerung ist nicht möglich, sagt nicht nur Luhmann!

Teams haben hierbei die Macht, die Themen, die nach “oben” kommen zu filtern. Heute wird dieses Vorgehen auch gerne als “Nudging” bezeichnet: Ich habe eine gewünschte Variante und stelle dieser Variante zwei ziemlich blödsinnige Optionen zur Seite. Die dritte vielleicht ähnlich erfolgsversprechende Variante lasse ich weg, weil sie nicht meinen Wünschen entspricht. Wer trifft hier wirklich die Entscheidung? Die Chefin oder der Chef, oder die Person, die die Optionen auswählt?

Eine weitere Macht ist diejenige, die meine Chef-Chefin geradezu ins Schaufenster stellt, indem sie sagt, dass die Führungskraft für gewöhnlich die schlechteste Expertin oder der schlechteste Experte ist. - Es ist die Macht des Fachwissens. Diese Macht hat sich seit der Veröffentlichung von Luhmanns Systemtheorien in den 70ern und 80ern noch verschärft, da Businesswissen in einer zunehmend digitalen Welt nun auch noch durch IT-Wissen ergänzt werden muss. Luhmann würde nicht skandieren “IT’ler an die Macht!”, sondern “IT’ler an der Macht!”.

Die dritte große Macht über die Mitarbeitende verfügen, ist die, die Perspektive auf das Thema zu bestimmen. Und machen wir uns nichts, vor, wir alle haben schon einmal Informationen cheftauglich eingefärbt!

Die vierte und letzte Macht, die Mitarbeitende in diesem Zusammenhang haben, ist etwas anders gelagert, als die ersten drei, aber ein verdammt spannendes Tool der “Unterwachung”: Es ist die Macht, Probleme bewusst nach oben abzugeben, denn auch Chefinnen und Chefs müssen ja beschäftigt bleiben, nicht dass sie ihre Nase doch in meine Themen stecken…

“Unterwachung” als bewusstes Prinzip der Zusammenarbeit in modernen Unternehmensstrukturen

Tja, liebe Führungskräfte, da bleibt man doch am Montag besser mal im Bett! Man denkt, man führt, gestaltet, hat neben der Verantwortung auch Macht und dann kommt da so ein wild gewordener Soziologe und Gesellschaftstheoretiker daher und führt einem vor Augen, dass man am Ende doch ziemlich fremdbestimmt agiert. Schlimmer noch, es sind die, die wir dachte zu führen, die uns fremdbestimmen und manipulieren! Aber Kopf hoch, die Realität ist deutlich weniger tragisch als sich das Prinzip der “Unterwachung” im ersten Moment liest. Nehmen wir zum Beispiel die Vorstandsassistentin, die “unterwacht” um auf den Chef aufzupassen. - Ich kannte mal eine, die sogar ein Blutdruckmessgerät in ihrem Schreibtisch hatte. - Für Notfälle. Wie fürsorglich. Und auch ich ertappe mich meistens aus sehr fürsorglichen Gründen dabei, meine Chefin zu “unterwachen”! - Liebe Grüße an dieser Stelle! Ich weiß, dass sie meine Artikel immer mal wieder liest! Und ich weiß, dass die “Unterwachung” meinerseits für meine Führungskraft völlig OK ist. Denn kluge Führungskräfte und kluge Unternehmen sind sich diesem unvermeidbaren Phänomen bewusst und haben es umgedreht um es für sich zu nutzen. Sie nennen es “Empowerment” und bezeichnen es als eine der wichtigsten Antworten auf ein zunehmend dynamisches und komplexes Marktumfeld. Kein Mensch kann mehr alles verstehen, wissen, können, mitbekommen. Es braucht Teams, Teams die Höchstleistungen erbringen. Und schaut man sich an, welche Zutaten ein High Performance Team braucht, findet sich da nicht nur Kommunikation, Konfliktfähigkeit, ein gemeinsames Ziel und kognitive Diversität, sondern auch Eigenverantwortung (also den Mut zu “unterwachen”) und Führung. Es braucht Führungskräfte, die “empowern”, die sich bewusst “unterwachen” lassen, weil sie zum einen wissen, dass es ohnehin stattfindet und zum anderen darauf vertrauen, dass die “Unterwachung” im positivsten Sinne stattfindet, weil sie am Ende doch nicht alles mitbekommen oder wissen können.

Vertrauen, da ist es wieder: Die Basis für Empowerment oder eine positive “Unterwachung”, die eine Organisation erfolgreich am Laufen hält, ist Vertrauen. Bereits in den 1980er Jahren schreibt Luhmann, dass “Unterwachung” am wirkungsvollsten sei, wenn sie in vertrauensvolle Kooperation eingebettet sei, indem “jede Seite, im Interesse der besonderen Macht über den anderen, dessen Macht schont und beachtet.” Danke Niklas Luhmann! Inzwischen wurde Amy C. Edmondson zum zweiten Mal in Folge mit dem Thema Vertrauen, oder Psychological Safety, zur wichtigsten Vordenkerin in der Wirtschaft gewählt und Studienreihen wie das Projekt “Aristoteles” von Google belegen, dass die Leistung eines Teams oder einer Organisation mit dem subjektiv empfundenen Vertrauen der einzelnen Mitglieder anwächst.

Liebe Führungskräfte, ihr könnte “Unterwachung” nicht unterbinden. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass der Versuch der Unterbindung die “Unterwachung” nur noch größer werden lässt. Ihr könnt sie aber umdeuten und aus ihr Empowerment machen. Ja, dieser Schritt braucht Mut, vor allem aber eine vertrauensvolle Teamkultur. An dieser Kultur könnt ihr bewusst arbeiten. - Und sollte ihr nicht so richtig wissen wie, dann unterstützen euch systemische Coaches und Berater wie ich sicher gerne!

Liebe Mitarbeitenden, ihr seid mit Nichten Machtlos! Im Gegenteil, ihr seid sogar sehr machtvoll. Luhmann hätte in diesem Zusammenhang den Tipp, dass Macht auch immer mit Verantwortung einher gehen sollte. Nutz eure Macht, aber nutzt sie verantwortungsvoll, achtsam und im Sinne aller!

Habt einen schönen Sonntag.

Eure Constance

Unterwachung…

Lass dich nicht zum Narren machen! Wer führt wird geführt.

Wer beobachtet verändert! - Was Führungskräfte von Quantenphysikern lernen können

Für Annette

Ich weiß nicht, was ihr braucht um über den Tellerrand hinaus zu denken, um kreativ zu sein, um neue Impulse zu entdecken und um ihnen nachzugehen. Ich brauche den Diskurs, den Austausch, die Diskussion mit anderen. Diese wertvollen Impulse von außen regen meine grauen Zellen an und lassen mein eigenes Denken bunter werden. Neben all den mehr oder weniger zufälligen Alltagsbegegnungen, die mich zum Denken bringen, gibt es auch eine winzig kleine Handvoll Menschen, die mich seit Jahren begleiten und mit winzig kleinen Nadelstichen für die spannendsten neuen Ideen und Perspektiven sorgen. Ich kann euch nur von ganzem Herzen wünschen, dass auch diese winzig kleine Handvoll Menschen habt, die euer Denken bunter und leichter machen.

Seit vielen Jahren ist Annette eine meiner wertvollsten Impulsgeberinnen. Verdammt, manchmal frage ich mich wirklich wie ein einziger Kopf nur so voll von bunten Ideen sein kann, wie Annettes. Vor einer guten Woche bin ich über Annettes Status in WhatsApp gestolpert: Ein Männchen sitzt mit Fernglas auf einer Kiste und schaut scheinbar konzentriert ins Weite. Auf der Kiste steht “Wer beobachtet verändert.” Ich bin begeistert und schreibe Annette, dass ich sie wahrscheinlich schon am nächsten Tag zitieren würde. Veränderung und wie man sich auf allen Ebenen verhält um den Veränderungsprozess bestmöglich zu unterstützen ist eines meiner momentan wichtigsten Themen. Dabei ist Beobachten gerade für Führungskräfte ausgesprochen wichtig und passiert aus meiner Sicht nicht nur in virtuellen oder hybriden Settings viel zu selten.

Annette pflichtete mir bei und ergänzte ganz nebenbei, dass es sich dabei aber eigentlich um eine Theorie aus der Physik handle.

Und stetig weitet sich der Horizont…

Das war wieder einer dieser Impulse: Ich musste es genauer wissen, damit ich am nächsten Tag auch kompetent zitieren konnte. Ich fragt Meisterin Google, die mir wie immer ausgesprochen klug und fundiert antwortete. Tatsächlich handelt es sich bei der Theorie, dass Beobachtung Wirklichkeit beeinflusst um eine der wohl rätselhaftesten Prämissen der Quantentheorie, die bereits 1998 durch ein Experiment des in Israel ansässigen Weizmann Instituts in einer Versuchsreihe bestätigt wurde. Das Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Heilblum hat wissenschaftlich belegt, dass Elektronen sich unter Beobachtung anders verhalten und bestimmte messbare Interferenzen im Zusammenspiel der Elektronen nur auftreten, wenn sie unbeobachtet sind…

Ich erspare ich euch quantenphysikalischen Details (es geht irgendwie um wellenförmiges und nicht-wellenförmiges Verhalten) und deren Bedeutung für die Technik der Zukunft, die auch ich nur ansatzweise verstanden habe und fasse das für den systemischen Berater Relevante zusammen: Unter Beobachtung verhalten sich Systeme anders, was wiederum bedeutet, dass der, der beobachtet auch verändert. Annette hat also recht. - Und ich konnte klug zitieren!

Das Konfetti in meinem Kopf

Was schließlich in meinem Kopf passiert, wenn derartige Impulse in den ein oder anderen Hirnregionen andocken ist ebenfalls ein wissenschaftliches Phänomen, dass ich nur in rudimentärsten Ansätzen verstehe. Es fühlt sich jedoch an als würde eine Konfettikanone alles einmal wild und kunterbunt durchmischen und eine neu (Un-) Ordnung voller Ideen entstehen lassen. Wie meine Hirnwindungen mich schließlich zum Thema Führungsverhalten im Rahmen von Veränderungsprozessen gebracht haben, ist deren Geheimnis. Aber die Erkenntnisse sind da und natürlich möchte ich diese nicht geheim halten.

Veränderung und Führung

Was Bedeutet Führung im Rahmen von Veränderungsprozessen überhaupt? Die wahrscheinlich wichtigste und wertvollste Erkenntnis für moderne Führungskräfte (nennt sie “Servant”, nennt sie “True”, nennt sie “Humble”, “Brave” oder was auch immer) sollte sein, dass Veränderung oder Change nicht mehr als singuläres Event zu verstehen ist. Veränderung ist der dauerhafte Normalzustand, angefeuert durch eine immer dynamischere und komplexere Umwelt. Das heißt der Veränderungsprozess wir niemals abgeschlossen sein und das ist gut so. Jede Organisation, jeder Organisationseinheit, jeder Einzelne von uns wird gnadenlos von der Dynamik unserer Welt überholt, wenn er in einen statischen Zustand kommt. Ob wir das nun als lernende Organisation oder kontinuierlichen Verbesserungsprozess bezeichnen, ist im Prinzip egal. Was zählt ist die Beweglichkeit.

Was brauchen Menschen, die in einer immerwährenden Dynamik wieder und wieder auf unbekannte Pfade geschickt werden? Raum und ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen. -Ich liebe es, wie mich mindestens 80% aller meiner Artikel stets zu meinem Kernthema, der sogenannten Psychologischen Sicherheit, führen!

Möchte ich als Führungskraft nun eine bewegliche, lernende Organisation, dann brauche ich als Basis Menschen, die sich sicher genug fühlen um Neues auszuprobieren, um innovativ zu sein, um kreativ zu sein und um den Raum, den ich ihnen im besten Fall gebe, auch zu füllen. Diese Menschen brauchen eine sichere Basis. Wie kann Beobachten zu dieser sicheren Basis beitragen? -Ganz einfach, wenn ich weiß, dass da jemand ist, der mir wohlwollend und unterstützend über die Schulter schaut, kann ich viel freier agieren und mein Potenzial voll ausschöpfen, weil ich vertraue, dass es OK ist, was ich tue, weil ich weiß, dass es gut ist, was ich tue. Und wenn es nicht gut ist bekomme ich wohlwollend Feedback, dass mich davor bewahrt in eine ungünstige Richtung abzubiegen.

Sicherheit geben durch wohlwollende Beobachtung

Es ist gefühlt mein täglich Brot, dass ich Führungskräfte dazu ermuntere, bewusst wahrzunehmen, was ihre Mitarbeitenden tun und dieses dann auch entsprechend anzusprechen, Feedback zu geben. Das steckt den Rahmen für die Mitarbeitenden ab und gibt das Gefühl von Sicherheit. Auf der anderen Seite ist es das täglich Brot der Führungskräfte, dass sie sich in hybriden oder virtuellen Settings immer schwerer tun, mitzubekommen, was ihre Teams tatsächlich tun. Beobachtung muss somit zu einer bewussten Entscheidung werden. Ich muss mir bewusst Zeit nehmen, um zu beobachten, was meine Mitarbeitenden tun. Ansonsten ist Feedback nicht möglich, ansonsten lasse ich eine wertvolle und einfache Möglichkeit ungenutzt, einen sicheren Rahmen in einer volatilen Welt zu schaffen.

Ich würde systemisch betrachtet sogar noch einen Schritt weitergehen: Auch Mitarbeitende können durch Beobachtung verändern. Denn auch Führungskräfte brauchen Feedback. In modernen Organisationsstrukturen wird Führung zunehmend zu einem interaktionellen Kreislauf. Das heißt die Führungskräfte werden geführt durch das Feedback ihrer Geführten. - So in etwa hat es der großartige Dr. Gunther Schmidt mal ausgedrückt. Und Recht hat er. Um gut führen zu können, sowohl auf der Ebene der direkten Mitarbeiterführung, als auch auf der Ebene der strategischen Entscheidungen, brauche ich Infos von vorderster Front. Um ein Servant Leader zu sein, muss ich wissen was meine Mitarbeitenden brauchen und wo die Schuhe drücken. Um strategisch gute Entscheidungen zu treffen, brauche ich eine möglichst breite Faktenbasis und im Elfenbeinturm der Führung bekomme ich viele Themen der Basis nicht automatisch mit. Wie relevant dieses Basisthemen jedoch sein können, hat uns dereinst Nokia eindrucksvoll bewiesen.

Mein Appell an alle Führungskräfte ist deshalb nicht nur ihre Mitarbeitenden wahrzunehmen und ihnen Feedback zu geben (und bitte nicht nur einmal im Jahr als bürokratischer Akt), sondern auch sich selbst als Mensch erlebbar zu machen und mit dem Team zu teilen, was man tut und denkt, denn nur dann haben die Teamkollegen einen Ansatzpunkt für Feedback. Liebe Führungskräfte, gebt euren Teams die Möglichkeit euch zu beobachten, euch zu erleben! Ja, auch das braucht Mut, aber der Nutzen ist enorm!

Und den Mitarbeitenden gebe ich den guten Rat wahrzunehmen, was ihre Führungskräfte tun und auch mal Feedback nach oben zu geben.

So erarbeiten sich beide Seite Vertrauen, Sicherheit und das gute Gefühl nicht allein zu sein. Ich beobachte und werde beobachtet. Eben das ist das Netz und der doppelte Boden, den ich brauche, um in einer mehrdeutigen, dynamischen, komplexen Welt mutig und kreativ zu sein.

Genießt euren Sonntag und probiert es vielleicht direkt am Montag mal aus.

Eure Constance

PS: Den nächsten Artikel gibt es nicht wie gewohnt in 14 Tagen, sondern erst in drei Wochen. Zum einen möchte auch ich nicht in zu tief ausgetretene Pfade der Gewohnheit geraten, zum anderen möchte ich in Ruhe und ein ganzes Wochenende lang Hochzeitstag feiern! ;)

Wer beobachtet verändert

Denn eine sich stetig wandelnde Welt brauch aufmerksame und präsente Frührung

Next Level Führung: Vulnerable Leadership als Frage zur und Antwort auf die schöne neue Welt im Business

Wieviel Persönlichkeitsentwicklung darf ich als Coach erwarten?

Ich gebe zu, als ich zum ersten Mal in einer Überschrift zu einem Artikel über erfolgreiche Führung gelesen haben, dass der neuste, heißeste Scheiß nun “Vulnerable Leadership” sei, war ich nur mäßig begeistert. Reicht es nicht, wenn ich mit Begriffen wie Servant Leadership, Humble Leadership, Managerial Coaching und True Leadership um mich schmeiße? Irgendwann werfen mich die Führungskräfte, die ich begleite, einfach raus! -Und ich könnte es verstehen. Wieviel “Changeability” darf ich als Coach und Consultant erwarten und wann überspanne ich den Bogen?

Aus Neugier habe ich trotzdem weitergelesen und ja, es stimmt, das Thema Verletzlichkeit taucht in den letzten Monaten zunehmend als DIE Führungsqualität immer wieder auf, egal ob in Fachartikeln, Konferenzen oder Podcasts. Es scheint, als sei diese Eigenschaft besonders in Krisen oder Situationen mit hoher Dynamik und Komplexität von großem Nutzen.

Verletzlich und stark zu gleich?

Natürlich ist die Frage berechtigt, ob ich gerade in Krisen nicht eher eine Führungskraft benötige, die stark vorweg geht und mir so Sicherheit gibt. Kann mir jemand, der sich verletzlich zeigt das Gefühl von Sicherheit geben? Keine Ahnung! Ich formuliere die Frage mal anders: Kann mir jemand, der ebenso fehlbar ist, wie ich selbst es bin, das Gefühl von Nähe oder Nahbarkeit geben? Und gibt mir das dann zusätzliches Vertrauen? Und wächst über dieses Vertrauen auch mein subjektiv empfundenes Sicherheitsgefühl an? Noch eine Frage habe ich: Braucht es nicht verdammt viel Mut und Stärke, seine eigenen Unzulänglichkeiten offen zu teilen?

Entlastung durch Verletzlichkeit

Während der Corona-Pandemie hat der Abwesenheitsagent einer weiblichen Führungskraft bei Microsoft für einiges an Aufsehen gesorgt. Es war zu lesen, dass die Dame im Homeoffice arbeite, was in ihrem Fall bedeute, dass sie in einem Haus voller pubertierender Teenager und Eltern sei, die abwechselnd in Lebenskrisen geraten. Arbeiten bedeute für sie gerade, Mails dreimal lesen zu müssen um sie zu verstehen. Aus diesem Grunde bitte sie um Geduld hinsichtlich ihrer Antwort.

Die Intention diese Abwesenheitsnotiz war natürlich, sich selbst zu entlasten und Raum zu schaffen, indem ein glasklares Erwartungsmanagement betrieben wurde. Smarte Taktik. Denn wer sich nicht ständig schützen und verteidigen muss, hat mehr Zeit für seine eigentliche Arbeit. Was jedoch zusätzlich passierte war, dass viele Kollegen sich durch diese Nachricht direkt an ihre eigenen Homeoffice-Situation erinnert fühlten. Es kam also zu einem ausgezeichneten Identifikationsangebot, was unglaubliche Nähe aufbaut. Zusätzlich hat die Verfasserin sich als Mensch erlebbar gemacht, auch für alle “Nicht-Eltern”, was ebenfalls Nähe aufbaut.

Diese Form der Selbstoffenbarung erfordert natürlich verdammt viel Mut, neigen wir Menschen doch dazu uns lieber auf mögliche negative Konsequenzen unseres Handelns zu fokussieren. Natürlich kann es auch passieren, dass Selbstoffenbarungen negativ aufgenommen werden, jedoch wiegen die positiven Effekte besonders im organisationalen Kontext deutlich höher.

Wie wirkt sich Vulnerable Leadership aus?

Im Prinzip ist Vulnerable Leadership, bzw. die dahinterstehende Verletzlichkeit eine der Säulen für das, was die Harvard-Professorin Amy C. Edmondson als Psychological Safety beschreibt. Diese subjektiv empfundene Sicherheit auf Ebene jedes Mitarbeitenden ist die absolute Voraussetzung dafür, dass Organisationen nachhaltig erfolgreich in einem dynamischen und komplexen Umfeld agieren können. Nicht zu Letzt das Projekt “Aristoteles”, mit dem Google seinerzeit bewiesen hat, dass der Unterschied zwischen besonders erfolgreichen und eher durchschnittlichen Teams das Level der subjektiv empfundenen Sicherheit der einzelnen Teammitglieder war, hat diesen Zusammenhang glasklar bewiesen. So wird Psychological Safety zunehmend zu einem Heiligen Gral der Unternehmen. Denn Hochleistung ist natürlich das was alle wollen und so fragen sich die Wirtschaftsorganisationen auch zunehmend, wie man die Rahmenbedingungen dafür schaffen kann, dass sich diese sagenumwobene Psychological Safety auch in ihren Reihen einstellt. Tja, liebe Unternehmen, legt euch vulnerable Führende zu. Professor Adam Grant hat hierzu gemeinsam mit seinem damaligen Doktoranden Constantinos Coutifaris eine Studie mit Führungskräften durchgeführt, in deren Rahmen sie die Probanden in vier Gruppen einteilten. Die erste Gruppe war aufgerufen, ihre Teams regelmäßig um Feedback zu ihrem Verhalten zu bitten. Gruppe zwei musste ihren Teams von negativen Feedbacks, die sie selbst von ihren Führungskräften bekommen haben, erzählen. Gruppe drei sollte beides tun und Gruppe vier war die Vergleichsgruppe, die nicht anders machen sollte als bisher. Nach einer Woche waren keinerlei Veränderungen messbar, nach einem Jahr jedoch war eine deutlich verbesserte subjektiv empfundenen psychologische Sicherheit bei denjenigen Teams messbar, deren Führungskräfte von eigenen Misserfolgen berichteten. -Unabhängig davon, ob diese Führenden noch zusätzlich um Feedback gebeten haben, oder nicht.

Nun braucht es also Leader mit Mut

An der Universität in St. Gallen kam man in einer ähnlichen Versuchsreihe zu ähnlichen Ergebnissen. Der verantwortliche Professor Wolfgang Jenewein kam über diese Arbeit zu der Empfehlung, Unternehmen sollen bei der Auswahl ihrer Führungskräfte vor allem darauf achten, Menschen einzustellen, die mutig genug sind, sich verletzlich zu zeigen. Jenewein nennt das “Egostärke”. Konkret benennt die Studie aus St. Gallen, dass es Chefs brauche, die in der Lage seien, mit eigenen Fehlern offen und transparent umzugehen und Zweifel oder kritische Situationen im Unternehmen anzusprechen. Zusätzlich müssten die Führungskräfte verfügbar sein und sich Zeit für ihre Teams nehmen. Nur ganz am Rande erwähnt, leiten die Forschenden aus ihrer Arbeit klar ab, dass Frauen diese Form von Egostärke und Empathie deutlich häufiger mitbringen als Männer… Jenewein geht sogar so weit, Unternehmen zu empfehlen, aus benannten Gründen Frauen bewusst in Richtung Führungspositionen zu fördern.

Weinende CEOs im Townhall mit 500 Mitarbeitenden?

Wie weit darf diese Verletzlichkeit jedoch gehen? Wo sind Grenzen? Ich stelle mir ein Townhall mit dem CEO meines Unternehmens vor, der angesichts der wirtschaftlichen Lage coram publico in Tränen ausbricht. Nein, das fühlt sich nicht gut an, Identifikationsangebot hin oder her. Ich würde sofort von Angst und Sorgen überflutet werden. Beruhigend fände ich jedoch, wenn dieser CEO in seinem Team aus Führenden offen sagen würde, wenn er Hilfe braucht oder nicht weiterweiß.

Wie finden Führende nun also die richtige oder angemessene Balance zwischen Verletzlichkeit und Stärke? Tja, wahrscheinlich ist es am Ende ein großer Lernprozess, der ganz sicher viel Mut braucht, um sich auszuprobieren und seinen eigenen und damit auch authentischen Weg zu finden.

Beispiele gibt es inzwischen einige. Mit CultureAmp, einer Australischen Plattform für Employee Experience, gibt es inzwischen sogar ein Unternehmen, das den Mut zur Verletzlichkeit als Basis für den Verhaltenskodex des Unternehmens gewählt hat, und zwar ganz bewusst. So werden Mitarbeitende immer wieder ermutigt, Ideen zu äußern, ohne Angst davor zu haben, dass es falsch sein könne, denn scheitern gehört zur Firmenkultur. Es entsteht eine wirklich offenen Feedback-Kultur aus der wiederum eine transparente Fehlerkultur entsteht. Denn eine jede offene und ehrliche Fehlerkultur setzt voraus, dass nicht nur das Lernpotenzial von Fehlern anerkannt wird, sondern auch der subjektive Schmerz des Scheiterns.

Tja, so beginnt auch der lange Weg hin zur lernenden Organisation mit einem ersten kleinen Schritt, der so simpel und so unglaublich schwer ist, wie die Worte “ich kann nicht mehr und brauche Hilfe…”.

Habt einen wunderschönen Sonntag.

Eure Constance

Die ideale Führungskraft

Wie sieht sie aus?