Change Management

Sinn und Sinnlosigkeit von Zielen und die Suche nach Bedeutung in einer volatilen Welt

Denn nichts ist so Gewiss wie die Ungewissheit

Wir leben in einer geradezu obszön zielorientierten Zeit. Alles braucht Ziele, persönliche Ziele, Unternehmensziele, Jahresziele, ESG-Ziele, CO2-Ziele,Kriegsziele, Friedensziele... Und natürlich müssen diese Ziele auch alle messbar, um nicht zu sagen SMART sein. Dabei frage ich mich wieder und wieder, wie nachhaltig und erreichbar diese festen Ziele in einer Zeit sind, die vor allem durch ihre Volatilität, ihre Dynamik und Unberechenbarkeit hervorsticht. Das frage ich mich nicht nur, weil ich kurz vor meinem eigenen Mid-Year-Review stehe und ich eines meiner sechs gesetzten Jahresziele in meinem Hauptberuf als Consultant wohl gnadenlos revidieren muss, da sich die Welt seitdem ich meine Ziele vor gut drei Monaten festgelegt habe, gehörig weitergedreht hat. Welchen Sinn haben langfristige Ziele in einer Zeit in der nichts so sicher ist, wie die stetige Veränderung?

Von den Polynesiern lernen

Mit Nichten behaupte ich, dass Ziele keinen höheren Zweck erfüllen. Allerdings kann dieser Zweck in einer dynamischen Umwelt eben nicht sein, die gesetzten Ziele auf Gedeih und Verderb zu erreichen. Vielmehr ist der Zweck von Zielen in einer so volatilen Umwelt aus meiner Sicht in erster Linie in Bewegung zu kommen. -Nicht mehr aber auch vor allem nicht weniger. Auf diese Art und Weise ist es den frühen polynesischen Seefahrern gelungen, sich quasi den gesamten Pazifik zu erschließen. Und der ist ganz schön groß.

In Zeiten, in denen Navigationssysteme bestenfalls die Sterne über uns waren, konnten diese mutigen Seefahrer nicht wissen, dass sie, wenn sie dort und dort lang segelten, irgendwann in Hawaii rauskämen. Trotzdem sind sie einfach losgesegelt. Dabei haben sie sich natürlich ein Ziel gegeben, eine Richtung. Während sie also in Richtung ihres zunächst gesetzten Zieles unterwegs waren, haben sie permanent geprüft ob die Richtung noch immer stimmte, oder ob sie diese ändern müssen. Hierbei zogen die alten Polynesier neben den Sternen unter anderem auch Fischschwärme, Strömungen und Wetterphänomene zu Rat und hatten keine Angst davor, die Richtung zu ändern, wann immer die Parameter ein entsprechendes Indiz darstellten. So ging es im Zickzack durch den Pazifik, den dieses kleine Inselvolk Schritt für Schritt erobert hat. Wer neue Welten entdecken möchte, der muss offensichtlich in der Lage sein, die Richtung zu wechseln.

Und apropos Segeln und neue Welten entdecken: Christoph Columbus hat sein ursprüngliches Ziel, Indien, unendlich weit verfehlt und ist dank dieser Verfehlung in die Geschichtsbücher eingegangen. Was wiederum bedeutet, dass gerade ein nicht erreichtes Ziel die Welt nachhaltig verändern kann. Denn wäre er ohne das Ziel Indien vor Augen losgesegelt? Wohl kaum!

Viktor Frankl und der Sinn hinter den Zielen

Ziele an sich seien sinnlos hat dieser österreichischer Neurologe und Psychiater in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts selbstbewusst in die Welt hinausgerufen und damit die Disziplinen der Existenzanalyse und Logotherapie, also der Therapie durch Sinn, begründet. Erst das “Wofür” des Ziels schafft seinen Wert und somit Motivation. Einfach mal so rechtsherum nach Indien segeln war wahrscheinlich nicht Columbus’ primärer Antrieb. Vielmehr wollte er wahrscheinlich Handel vereinfachen um leichter und besser leben zu können. Und vielleicht wollte er als Pionier neues entdecken und hat sich dafür entschieden, ausgetretene Pfade zu verlassen. Denn dort ist ja zu meist schon alles entdeckt.

Welchen Sinn haben also feste Jahresziele für Organisationen und vor allem für deren Mitarbeitende? Gefühlt ist die Dynamik unserer Zeit so groß, dass ein Jahresplan schon wie Planwirtschaft im sozialistischen Sinne anmutet. Als ich meine diesjährigen Ziele im Februar formuliert und mit meiner Chefin besprochen habe, war ich zumindest bei zwei meiner Ziele so frei direkt anzukündigen, dass wir uns Mitte des Jahres anschauen müssten, ob diese Ziele wirklich sinnvoll und für ein ganzes Jahr tragbar sind. Polynesisches Segeln also. Mit Blick auf eines der beiden Zielen kann ich jetzt schon sagen, dass alle Fischschwärme, die Sterne und diverse Wetterphänomene sehr deutlich darauf hinweisen, unbedingt eine neue Richtung einzuschlagen. Dieses Ziel endet nach momentanen Kenntnisstand irgendwo im nirgendwo. Für die Polynesier hätte so etwas wahrscheinlich den Tod auf hoher See bedeutet. In modernen Organisationen sind die Auswirkungen, die es hat auf ein leeres, nicht hilfreiches oder kontraproduktives Ziel hinzuarbeiten nicht so unmittelbar katastrophal. Sinnvoll ist es dennoch nicht! Zum Glück gibt es inzwischen in vielen Organisationen die Möglichkeit, Ziele zur Jahresmitte noch einmal zu schärfen oder zu revidieren, um der extremen Dynamik unserer Zeit Rechnung zu tragen.

Wofür braucht es sie dann, diese Art von Zielen? Fragt ihr eine Seite von mir, sagt diese euch ganz klar für nichts! Ich arbeite ohnehin so, dass es dem Wohlergehen meiner Organisation dienlich ist. -Zum einen, weil ich eine hohe intrinsische Motivation habe im positivsten Sinne produktiv zu sein, zum anderen aber auch, weil mein Gehalt und somit meine wirtschaftliche Existenz zu einem großen Teil vom Wohlergehen dieser Organisation abhängt. Ich brauche keine Karotte vor der Nase, ganz so wie ein Eselchen, das den Karren ziehen soll. Fragt ihr eine andere Seite in mit versteht diese natürlich auch das Bedürfnis einer Organisation die individuellen Leistungen der Mitarbeitenden messbar zu machen. Und natürlich ist es in einer Organisation immer hilfreich, wenn alle Beteiligten in eine Richtung ziehen. Wenn man entscheidet, diese Richtung über gemeinsame und abgestimmte Ziele zu geben, ist aus meiner Sicht dagegen erst einmal nichts einzuwenden. Nun folgt jedoch das große Aber: Hierbei ist es aus meiner Sicht unendlich wichtig, Ziele oder Richtungen auch wieder loszulassen und zu revidieren. Denn nur so gelingt es wirklich neue Welten zu entdecken, zu wachsen, sich erfolgreich weiterzuentwickeln. Leider erlebe ich es in ganz unterschiedlichen Kontexten noch immer zu häufig, dass der Mut, einmal gesetzte Ziele loszulassen oder zu revidieren fehlt. Damit fehlt dann auch diejenige Fehlerkultur, die wirkliches Wachstum und wirkliche Entwicklung erst ermöglicht. Was kann ein solches Verhalten im Organisationskontext bedeuten? Es wird nicht nur auf einen lahmen Esel gesetzt. Vielmehr ist es dann sogar so, dass alle Ressourcen in diesen lahmen Esel gesteckt werden und die anderen heißblütigen Rennpferde mit Potenzial verhungern am ausgestreckten Arm der Priorisierung. Natürlich bekommen das dann auch irgendwann alle Beteiligten mit und spätestens an dieser Stelle verliert das alte Ziel aus deren Sicht an Sinn und sie somit auch an Motivation und der arme lahme Esel wird nur noch halbherzig gepflegt. -Gerade so intensiv, dass man stets behaupten kann, man agiere der vorgegebenen Priorisierung folgend… Er fällt nicht um, aber rennen ist auch nicht mehr drin!

Was braucht der polynesische Segler?

Was braucht es also nun, beruflich und privat, um in einer dynamischen Welt die Segel stetig neu zu setzen ohne daran zu verzweifeln?

Zunächst muss ich wissen, wer ich bin. Wenn es keinen Kompass im Außen gibt, navigiere ich nach meinem inneren Kompass. Kenne ich meine Werte, meinen eigenen tiefen Sinn und meine damit verbundenen höheren Ziele, weiß ich intuitiv in welche Richtung ich (weiter)gehe. Sie sind mir vielleicht das, was den alten Polynesiern die Fischschwärme, Meeresströmungen, Sterne und Wetterphänomene waren, an denen sie im scheinbar endlosen Ozean Orientierung und Richtung finden konnten.

Im zweiten Schritt ist es hilfreich mir bewusst zu sein auf welche Fähigkeiten und Ressourcen ich zurückgreifen kann. -Zunächst in mir selbst. Häufig wissen Menschen recht gut was ihnen fehlt, was sie nicht können, wo sie eigenen Defizite sehen. Die wenigsten führen sich regelmäßig vor Augen, was sie können und auf welche Ressourcen sie sich tief in sich selbst verlassen können.

Habe ich diese inneren Ressourcen geklärt, richte ich meinen Blick ins Außen um zu sehen welche sozialen Unterstützungsnetzwerke es gibt, die ich nutzen kann oder deren Teil ich bin. Die Polynesier sind auch nicht allein, sondern in einer Gruppe losgesegelt.

Ist auch das geklärt, schaue ich mir an welche unterschiedlichen Ziele ich mit allen vorhandenen Ressourcen im Innen wie im Außen erreichen kann und welches dieser Ziel am Ende am meisten Sinn ergibt. Denn das als am sinnvollsten empfundene Ziel ist immer auch das, das die größte Motivation auslöst.

Diese vier Ebenen funktionieren aus meiner Sicht nicht nur für Individuen, beruflich wie privat, sondern auch für ganze Teams oder Organisationen, da sie für mich diese sagenumwobenen Change Kompetenzen unserer Zeit darstellen.

In diesem Sinne möchte ich euch ermutigen einfach loszusegeln. Habt keine Angst, ein falsches Ziel zu setzen, da es nichts gibt, das euch zwingt daran festzuhalten. Und wenn ihr nach Indien wollt, dabei aber aus Versehen eine neue Welt entdeckt, ist das doch vielleicht auch kein Drama. Der große Vaclav Haven hat einmal gesagt: “ Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.”

Ich wünsche euch ein wunderbar sinnvolles Pfingstwochenende.

Eure Constance

Segel setzen und erst einmal los

Nicht nur dem Ziel, sondern auch der Sinnhaftigkeit entgegen…

Maastricht und ich - Runde II

Mein ganz persönliches Weihnachtswunder…

Auch als ich in diesem Jahr nun schon zum zweiten Mal die Universität Maastricht betrat um den Masterstudentinnen und Studenten im Bereich Wirtschaftspsychologie einen Workshop anzubieten, kam es mir erneut surreal vor. Verrückt, wie sich die Dinge für mich gefügt haben. Ich weiß noch genau, wie ich zum ersten Mal darüber nachdachte, wie man die Ideen der Luftfahrt zum Managen eines dynamischen, komplexen und mehrdeutigen Umfeld in die Welt hinaustragen könnte, Und nun stehe ich hier, in diesem altehrwürdigen Gebäude mitten im Zentrum Maastrichts. Ich liebe das Sprachen-Wirrwarr in den Gängen und diese flüchtigen Begegnungen: “Das ist XY. Er forscht bei uns im Department an…!” Und ich denke mir nur: Wow! Eigentlich müsste ich mal für sechs bis acht Wochen als Praktikant zu Gast sein um überall reinzuschnuppern. Es ist alles so spannend und zeigt mir wieder und wieder wie viel es noch zu lernen gibt! Mein eines kleines Leben wird dafür kaum ausreichen.

Völlig selig und voller Vorfreude bereitete ich meinen Raum vor und begrüßte die ersten Studierenden. Immer an meiner Seite meine liebe Freundin Conny. Uns hat das Schicksal (oder besser gesagt ihr Onkel) während Connys Bachelorarbeit zusammengeführt. Damals schaute sie sich eines meiner Trainings in der Luftfahrt an. Sie forscht in Maastricht für ihre Doktorarbeit und ich darf von ihrem großen Wissen profitieren und vor ihr lernen. Conny war wahrscheinlich die erste, über die ich meine Idee, den Ansatz des Human Factors Trainings aus der Luftfahrt hinaus in die Welt getragen habe.

So könnte man meinen, mein Erfolg hinge auch viel mit dem Glück der zufälligen Begegnungen zusammen. Sicher hatte ich das große Glück, viele wunderbare Menschen kennenzulernen. Aber dieses Glück hat sicher jeder, der mit offenen Augen und einem offenen Herzen durchs Leben geht. Ich stehe heute da wo ich stehe, weil ich all dieses zauberhaften Begegnungen gepflegt habe, ich habe hart gearbeitet und meinen Tram nie aufgegeben, weil ich an diesen Traum und auch an mich selbst geglaubt habe. -Selbst in den Momentan, in denen ich von anderen dafür belächelt wurde.

Was die Business-Welt von der Luftfahrt lernen kann…

Mit Conny lächelnd in der ersten Reihe sitzend ging mein zweiter Workshop in Maastricht also los. Was wollte ich den Studierenden vermitteln? In der Business-Welt geht es inzwischen wie auch in der Luftfahrt darum, Dynamik und Komplexität zu managen. Die Luftfahrt hat bereits vor Jahrzehnten verstanden, dass einzelne Menschen Dynamik und Komplexität gar nicht managen können. Es braucht Teams mit multiplen Perspektiven, einer breiten Wissensbasis um der stetig anwachsenden Dynamik und Komplexität unserer Zeit gerecht zu werden. Aus diesem Grund ging es in meinem Workshop vor allem darum, was Teams brauchen um erfolgreich zusammenzuarbeiten. Und, was sagt ihr? Was brauchen Teams um erfolgreich zu sein? Als aller erstes brauchen sie einzelne Teammitglieder, die den Mut haben, Verantwortung zu übernehmen und den Mund aufzumachen. Teams laden gerne dazu ein, sich als Individuum hinter dem Kollektiv zu verstecken. Nur so funktioniert es eben nicht. Ich erzähle den jungen Studierenden von diesem Co-Piloten, der nicht den Mut hatte, seinen Kapitän auf etwas anzusprechen, das ihm falsch erschien. An diesem Tag verloren 583 Menschen ihr Leben und ich stelle die Frage, wer nun Schuld sei, der Kapitän, der den Fehler gemacht hat, oder vielleicht doch der Co-Pilot, der den Fahler kommen sah, den Mund jedoch nicht aufgemacht hat. In einem komplexen Umfeld ist die Schuldfrage meistens nicht eindimensional zu klären. Vielmehr gilt es Systeme zu konstruieren, die die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolges minimieren. Hierbei zählt jeder einzelne Akteur, jede einzelne Perspektive. Ich weiß noch, wie ich damals, als ich meine Grundschulung als Stewardess hatte, verstanden habe, dass meine Perspektive nicht wichtig ist, obwohl ich jung und unerfahren war, sondern weil ich jung und unerfahren war.

Psychological Safety als Basis

Wie schwer es trotzdem ist, im täglichen Tun den Mund stets aufzumachen, merkte ich fortan auf jedem Flug. Und bis heute erlebe ich täglich, dass der Unterschied zwischen Theorie und Praxis in der Praxis einfach größer ist, als in der Theorie. Bis heute habe ich immer und immer wieder Momente, in denen ich wider besseren Wissens lieber schweige, als spreche. Was braucht es also, um zu sprechen? Es braucht das Gefühl, dass es OK ist zu sprechen, dass es sicher ist zu sprechen.

Da tauchte sie also wieder auf, diese sagenumwobene Psychological Safety. Sie ist so schwer zu umschreiben und doch so klar zu spüren. Also habe ich den Teilnehmenden meines Workshops eine praktischen Übung mitgebracht, um eben auch erfahrungsorientiert zu lernen, zu fühlen eben. Denn Psychological Safety kann ich niemanden beibringen. Ich kann bestenfalls Gedankenfutter, Food for Thought, mitbringen, das meinen Teilnehmenden hilft ihre Richtung hin zum großen Ziel zu finden. Weiß ich, wie sich das Ziel anfühlt und welchen Beitrag ich dazu leisten kann, ergibt sich der Weg.

Ich habe mich unglaublich gefreut, dass auch die beiden anwesenden Professor*innen Therese und Wim mitgemacht haben. Und auch Conny, meine Freundin und Doktorandin, war mit Feuereifer dabei. Die Gruppe hat ganz hervorragend interagiert und konnte im Nachgang viele der Punkte, die sie zuvor im Rahmen ihres Studiengangs theoretisch besprochen haben, auch im praktischen Miteinander analysieren. Besonders spannend war die Frage, welche Rolle die Teilnahme von Wim und Therese hinsichtlich der Teamdynamik gespielt hat. Für Therese und Wim wohl eine recht große, da beide sich bewusst zurückgehalten haben, damit die Studierenden sich nicht eingeschüchtert fühlen und frei und offen interagieren. Eine der Studentinnen sagte dazu, dass für sie die Teilnahme der beiden an der Übung absolut keine Rolle gespielt habe. Sie hat nicht darüber nachgedacht und sich komplett frei verhalten. Wie besser kann man ein psychologisch sicheres Lernumfeld beschreiben oder analysieren? - Aber auch die Rolle von Führung, die Menschen Raum gibt, sich selbst zurücknimmt, damit die anderen wachsen können.

Ich war ausgesprochen glücklich, diese Interaktion beobachten zu dürfen. Betrachten wir uns unsere Themen und Probleme, die globalen und die lokalen, die großen und die kleinen, dann braucht es eine junge Generation, die in einem Umfeld groß wird, in dem sie von Anfang an dazu ermuntert werden, ihren Mund aufzumachen. Denke ich an meine Schulzeit zurück, wurde ich zur Zurückhaltung erzogen. Galt ich doch als jung und ahnungslos. Ich habe eine ganze Weile gebraucht, bis ich wirklich ausreichend Mut hatte, offen kritisch zu sein, zu hinterfragen und Ideen anzubieten. Diese Zeit hat die nächste Generation wahrscheinlich nicht, wenn sie dieser Welt die neue Richtung geben will, die es braucht.

Was haben sich die Studierenden mitgenommen?

So verging mein Workshop wie im Fluge und ich habe um das akademische Viertel überzogen. Was ich mir jedoch nicht nehmen lassen wollte, war die Frage nach den Takeaways:

  • Eine positive Teamdynamik kann Fehler verhindern, auch wenn die Bedingungen und Umstände alles andere als gut sind.

  • Kultur und Haltung verspeisen auch in Transformationsprozessen Struktur und Prozesse zum Frühstück.

  • Speak up!

Gedanken zum Abschied…

Im Gehen haben Conny, Therese und ich noch darüber gesprochen, dass wir in einem kulturellen Wandel von der Tragweite der Industrialisierung stecken ohne es wirklich zu verstehen. Digitalisierung ist das große Thema unserer Zeit und wird Arbeitswelten und Arbeitskultur nachhaltig verändern. Auch deshalb braucht es ganz neue Ideen und Perspektiven. Ich erlebe noch immer vor allem qualitative und quantitativ messbare Veränderungsprozesse. Prozesse werden optimiert, was das Zeug hält… Aber am Ende schreit unsere Zeit wahrscheinlich nach substantiellen Veränderungen. Auch dafür brauche wir eine frische und neue Generation, die in der Lage ist, alles anders zu sehen, als wir. Unsere Herausforderung wird es sein, das auszuhalten! Der gegenwärtige Generationenkonflikt ist für mich durchaus greifbar.

Wo mich diese Veränderung hinführt? Keine Ahnung. Aber Coaches werden immer gebraucht. Denn der Mensch ist und bleibt die einzige Instanz, die in der Lage ist, Dynamik und Komplexität proaktive zu managen, wenn er denn die Richtung und den Überblick nicht verliert. Und ich als Coach bin an dieser Stelle wie eine Art Navigationshilfe für Individuen und ganze Organisationen. Ich persönlich denke, der Coaching-Markt wird sogar noch ein bisschen wachsen.

In diesem Sinne gehe ich jetzt auf den Weihnachtsmarkt und wünsche euch einen schönen ersten Advent!

Eure Constance

Maastricht und ich…

Und auch im nächsten Jahr wird sich das Riesenrad für mich weiterdrehen!

Gut geplant ist nicht auch immer gut gemacht - Wenn Change einfach nicht funktionieren will

Denn ein Autofahrer ist ja auch kein Formel 1 Fahrer

Ich gehe davon aus, die meisten meiner Leserinnen und Leser haben einen Führerschein und fahren regelmäßig Auto. Alles kein Problem. Wahrscheinlich fahrt ihr auch mal mit fremden Autos. Selbst der Wechsel von Schaltgetriebe auf Automatik oder umgekehrt läuft halbwegs geschmeidig.

Nun stellt euch vor, morgen gibt es ein riesiges Upgrade für euch! Anstatt eines normalen Autos steht ein Formel 1 Rennwagen vor der Tür und ihr sollt damit zur Arbeit fahren! Läuft bei euch? Bei mir auf keinen Fall. Klar, er hat vier Reifen, ein Lenkrad und einen Motor und ich habe einen Führerschein. Zur Arbeit werde ich es mit diesem Gefährt jedoch sicher trotzdem nicht schaffen. -Auch wenn ich es noch so gerne wollte.

So wie mir mit dem Rennauto geht es vielen Menschen während oder nach sogenannten Transformationsprozessen der Organisationen für die sie arbeiten. Im Hintergrund wird geplant, analysiert, optimiert und irgendwann stellt die Organisation den Mitarbeitenden das Formal 1 Auto untern den Arbeitsmodellen vor die Tür (nennt es New Work, Agilität oder wie auch immer) und keiner ist da, der es fahren kann. Blöd irgendwie.

Die vier Seiten ganzheitlicher Transformation

Was gilt es also zu beachten, damit eine Transformation oder ein Change erfolgreich ist? Die Herren Wilber und Ackerman haben hierfür ihr “Vier-Quadranten-Modell” erstellt, das die vier Felder auf welchen “transformiert” werden muss um nachhaltigen Erfolg zu erzielen, beleuchtet. Hierbei gibt es eine Achse aus Kollektiv und Individuum und einer Achse aus Innen und Außen.

Auf der Seite des Kollektivs im Außen entsteht das Rennauto. Hierbei wird intensiv an Strukturen und Prozessen gearbeitet. Im Innern wird an den Themen Kultur und Kommunikation gearbeitet, damit das schicke neue Rennauto auch auf Begeisterung stößt. Ich kann mich noch lebhaft an Zeiten erinnern, in denen im Prinzip nur und ausschließlich auf struktureller und prozeduraler Ebene gearbeitet wurde und nehme inzwischen wahr, dass immer intensiver auch Wert auf den kulturellen Wandel und ein angemessenes Kommunikationskonzept gelegt wird. Das ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung erfolgreicher Change-Prozesse. Allerdings fehlen bei dieser Herangehensweise noch immer zwei der laut Wilber und Ackerman relevanten vier Quadranten. -Also die Hälfte!

Denn New Work braucht Inner Work

Da steht es also, unser Rennauto. Dank eines guten Kommunikationskonzeptes finden es zunächst auch alle toll. Die Freude ist groß. Allerdings stellt sich sehr schnell Ernüchterung ein, denn so wie ich am Montagmorgen um mein Rennauto schleiche, so schleichen auch die betroffenen Menschen um das tolle neue Arbeitsmodell und wissen nichts damit anzufangen. Der Frust steigt!

Auf der Ebene des Individuums muss sich im Außen um die Themen Verhalten und Fähigkeiten gekümmert werden. Hierbei stellen zum Beispiel Agile Coaches eine tolle Unterstützung dar. Sie vermitteln das notwendige Handwerkszeug, spiegeln Verhalten und geben Feedback. Zusätzlich erstellt HR eine Lernreise hin zu Agilität, Scrum, Kanban, neuen IT-Systemen oder was es auch immer braucht. Drei von vier Quadranten sind abgedeckt.

So lernen die Menschen in einer Organisation Schritt für Schritt wie das neue, tolle Auto bedient werden muss, um von A nach B zu kommen. So weit so gut. Allerdings ist das neue Auto einfach deutlich schneller als das alte. Ein kleinwenig mehr Gas fühlt sich an wie eine Explosion und die Geschwindigkeit macht unsicher, ggf. sogar ängstlich. Und was ist mit denen die vorher lieber Bus gefahren sind? Es läuft zwar irgendwie, trotzdem wirkt es künstlich, unnatürlich, verkrampft. Man passt sich eben notgedrungen an. Dabei haben weder der Rennwagen noch der Fahrer Spaß. Der Rennwagen muss sich damit abfinden permanent in der Under-Performance zu sein, was dem Motor sicher nicht gefällt. Und der Fahrer ist permanent unsicher oder wenigstens niemals absolut sicher.

Was fehlt ist der vierte Quadrant in Wilbers und Ackermans Modell: Im Inneren muss sich mit dem Individuum inklusive seiner oder ihrer Haltung und Psyche beschäftigt werden, damit die Transformation erfolgreich sein kann. Warum ist das so wichtig? In modernen Kollaborationsmodellen verändert sich vor allem das Thema Führung und Macht. Jede und jeder bekommt in New Work Strukturen einen kleinen Teil der Macht, die in traditionellen Kollaborationsmodellen zentral bei der Führungskraft lag. Das nennt sich dann Empowerment und bedeutet selbstverständlich nicht, dass sich plötzlich alle so verhalten wie früher die Chefs. Vielmehr müssen nun alle gemeinsam im Team entscheiden, sich weiterentwickeln und gemeinsam lernen. Um hier gut und sicher zu agieren braucht es bestimmte Kompetenzen, die Menschen lernen müssen, wie eben auch Rennauto fahren, um dann nicht nur theoretisch schnell fahren zu können, sondern auch so viel Spaß dabei zu haben, dass die Performance des Autos wirklich Formel 1 würdig wird.

Persönlichkeitskompetenzen in einer dynamischen und komplexen Welt

In diesem Zusammenhang haben bereits vor einem guten Jahr Bettina Rollow und Joana Breidenbach drei Kompetenzfelder beschrieben, die in neuen Arbeitsmodellen eine besondere Rolle spielen: die individuellen Kompetenzen, die Beziehungskompetenzen und die Feldkompetenzen. Was gilt es in diesen drei Bereichen konkret zu lernen?

Im Bereich der individuellen Kompetenzen gibt es zwei Ebenen, auf denen ein besonderes Augenmerk liegen sollte: der Selbstkontakt und die Selbstreflexion. In der neuen Arbeitswelt mit fluiden Führungsrollen und weniger äußeren Vorgaben wird der Mensch selbst zu seinem wichtigsten Kompass und Richtungsgeber. Ist der Mensch in einem guten Selbstkontakt ist er sich seiner eigenen Gefühle stärker bewusst und somit in der Lage seine Umwelt bewusster und realistischer wahrnehmen. So können Beziehungen bewusster gestaltet werden, was wiederum dazu führt, dass zum Beispiel Entscheidungen informierter und analytischer getroffen werden, da diese auf mehreren Perspektiven und einer breiteren Faktenlage basieren. Eine gute Selbstreflexion wiederum bedeutet eigene Verhaltensmuster und dahinterliegende Bedürfnisse zu erkennen und so das persönliche Handlungsspektrum zu erweitern. Zum üblichen Reagieren kommt proaktives Agieren hinzu. Auf diese Weise kommen Menschen in der Selbstorganisation deutlich besser zurecht und können leichter eigenverantwortlich mitgestalten.

Schauen wir uns genauer an was sich konkret hinter dem Feld der Beziehungskompetenzen verbirgt, fällt hier zunächst das Thema Empathie, bzw. die transparente und empathische Kommunikation ist Auge. Erfolgreiche Zusammenarbeit im Team hängt in erster Linie von einer guten Beziehungsbasis ab, die eine Arbeitsatmosphäre der von mir so oft beschriebenen psychologischen Sicherheit schafft. Damit eine positiv bewertete Beziehungsbasis entstehen kann, sind unter anderem Fähigkeiten und Techniken der empathischen Kommunikation notwendig. Nur wenn alle im Team in der Lage sind sich auch hinsichtlich ihrer Gefühle und Bedürfnisse präzise und klar auszudrücken, wird es möglich, offen zu diskutieren, ehrliches Feedback zu geben und Konflikte konstruktiv anzugehen. Das Thema Konflikte bringt uns auch schon automatisch zum zweiten Feld im Bereich der Beziehungskompetenzen, das für uns von besonderem Interesse ist: die Fähigkeit, Spannungen auszuhalten. In selbstorganisierten Teams mit hoher Eigenverantwortung wird sehr intensiv um den besten gemeinsamen Kurs gerungen. Hierbei verstecken sich nicht selten Beziehungskonflikte im Mäntelchen der Sachkonflikte. Es ist wichtig, Spannungen im Team zu erkennen und die Angst vor Konflikten abzubauen. Offen über alle relevanten auch nicht fachlichen Themen zu sprechen ist von großer Bedeutung, wenn man das Team tatsächlich als Gesamtressource nutzen möchte. Unangenehmes unter den Teppich zu kehren ist kontraproduktiv.

Im dritten relevanten Bereich, den sogenannten Feldkompetenzen, geht es darum in all der Dynamik und Komplexität, aber auch in dieser Welt voller Möglichkeiten den Überblick nicht zu verlieren. Zwei besonders interessante Bereiche sind hier die sogenannte Metareflexion und die Fähigkeit zur Multiperspektivität in einem Team. Unter Metareflexion versteht man die Fähigkeit die kollektiven mentalen Modelle des Teams zu verstehen. Das heißt welche kulturellen Normen hinsichtlich der Zusammenarbeit gibt sich ein Team und welche sozialen Dynamiken herrschen im Team? Besonders in einem Umfeld der hohen Eigenverantwortung ist diese Fähigkeit von besonderer Bedeutung, da sie eine Voraussetzung dafür ist, einen gemeinsamen Rahmen für das Handeln der einzelnen Teammitglieder zu setzen. Ferner hat die Fähigkeit zur Metareflexion auch direkten Einfluss auf die Multiperspektivität. Multiperspektivität bedeutet, dass jede und jeder im Team ein Verständnis dafür entwickelt, dass Menschen auf Grund ihrer unterschiedlichen Erfahrung auch unterschiedliche Perspektiven und Haltungen entwickeln, wobei jede dieser Perspektiven eine wichtige und wertvolle Ergänzung des Gesamtbildes darstellt. Bei Multiperspektivität geht es nicht darum, andere Perspektiven oder Einschätzung zu respektieren. Multiperspektivität geht hier noch einen Schritt weiter: Es geht darum diese unterschiedlichen Perspektiven wertzuschätzen und jede unterschiedliche Einschätzung dankbar zu durchdenken.

In diesem dritten Bereich passiert aus meiner Erfahrung unter der Überschrift “Diversity & Inclusion” bereits eine Menge in Deutschlands Organisationen. Allerdings müssen wir meiner Meinung nach ein wenig aufpassen, dass diese wichtigen Bestrebungen nicht zur Modeerscheinung verkommen. Außerdem würde ich als Coach gerade mit Fokus auf die Feldkompetenzen der Mitarbeitenden zusätzlich zu Mann-Frau-Herkunft-sexuelle Orientierung-Generationen-Thematik den Fokus auch auf das Thema der kognitiven Diversität richten, denn in letzte Konsequenz geht es auch hierbei darum Unterschiedlichkeit zu integrieren und einen gemeinsamen Weg zu finden.

Der systemische Coach und Change Manager als Fahrlehrer in Rennwagen-Organisationen

Ja, Unternehmen sind gut beraten, wenn sie ihren Mitarbeitenden Fahrstunden für das neue Arbeitsmodell, die neue Struktur, den neuen Prozess anbieten. - Und zwar ganzheitlich, auf allen im Modell beschriebenen Ebenen. Hierbei können systemische Coaches und Change Manager so viel mehr leisten, als Kommunikationskonzepte zu entwickeln. Sie habe das Handwerkszeug um auch an den individuellen Kompetenzen, den Beziehungskompetenzen und den Feldkompetenzen zu arbeiten, wenn man ihnen den Raum und den Rahmen dafür gibt. New Work needs inner work! Und hierbei sollte man beim Management beginnen. Nur so kann es zu diesen wunderbaren Flow-Erlebnissen auch in der wilden Welt der New Work kommen. Nur so werden Organisationen zu lernenden und hoch performanten Organisationen und sind nachhaltig den Herausforderungen unserer Zeit gewachsen. Eigentlich dürfte ich mir mit dieser Perspektive keine Gedanken hinsichtlich meiner beruflichen Zukunft machen. Dennoch merke ich wieder und wieder, dass es ein ewiger Kampf zu sein scheint, bei den Entscheidungsträgern für die Notwendigkeit systemischer Begleitung zu werben. Change wir häufig nur auf der Dimension der Strukturen und Prozesse gesehen. In diesem Zusammenhang ist klar, dass Menschen ihr neues Handwerk oder neue Fähigkeiten lernen müssen. Hier wird der Rahmen für gewöhnlich automatisch geschaffen. Im besten Fall wird die Ebene der Kultur und Kommunikation ebenfalls mit einbezogen. An dieser Stelle darf ich als Coach und Beraten häufig unterstützen und mitgestalten. Trotzdem fehlt die vierte Ebene, die individuelle innere Arbeit. Schauen wir uns all diese Veränderungsvorhaben an, die langfristig scheitern (es gibt Statistiken, die behaupten es seien 75%), liegt das gefühlt immer wieder daran, dass diese vierte Dimension einfach nicht Teil des Prozesses war und die Menschen ihre neuen Rennwagen zwar fahren, dabei aber viel zu vorsichtig sind, unter ihren Möglichkeiten agieren und dadurch irgendwann zunehmend frustriert werden.

Wie nehmt ihr diese unterschiedlichen Dimensionen in Veränderungsprozessen wahr? Besonders interessant würde ich Feedback von “Betroffenen” finden. Aber auch Feedback und Erfahrungen meiner Coach und Consultant Kolleginnen und Kollegen würde mich interessieren.

Habt einen schönen Sonntag.

Eure Constance

PS: Wer jetzt auf die Idee kommt, dass all die “Leader as Coaches”, also die Führungskräfte mit coachendem Führungsansatz, diese Lücke in Dimension vier füllen könnte, dem sei ganz klar gesagt “Nein!”. Eine Führungskraft ist und bleibt Führungskraft und der coachende Ansatz in der Führung hat ganz klare Grenzen. Mehr dazu findet ihr in meinem letzten Artikel. Also einfach weiter nach unten scrollen! ;)

Den Blick aufs grosse ganze

Erfolgreiche Transformation geht nur mit ganzheitlichem Ansatz. Denn New Work braucht auch Inner Work!