Über flache Hierarchien und informelle Machtstrukturen - Die schöne neue Welt der Lähmung und der Intrigen...

Denn Macht ist böse…

Macht ist pfui! Und weil wir dem Aberglauben erliegen, dass Macht in unseren Organisationen immer auch mit Position einher geht hat man nun also entschieden, Hierachieebenen aus Organigrammen rauszunehmen und Hierarchie fortan flacher zu gestalten! Agilität lässt grüßen! Der Lead ist plötzlich “Servant”, Einzelbüros sind abgeschafft und auch anhand der Zuteilung der Parkplätze im firmeneigenen Parkhaus kann man die Positionen der einzelnen Mitarbeitenden nicht mehr ablesen. Ob Hierarchie dadurch tatsächlich flacher wird, lasse ich mal dahingestellt. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang was mit der Macht passiert.

Ich beginne mal mit einer Reise zurück in die Zeit in der ich angefangen habe, mich intensiver mit systemischer Beratung, bzw. systemischen Change Management auseinanderzusetzen. In besonders guter und lebhafter Erinnerung ist mir ein Video von Dr. Gunther Schmidt geblieben. -Wahrscheinlich einer der Väter der systemischen Beratung In Deutschland. Er sprach von Organigrammen und dass Organigramme für systemische Berater im Prinzip nichts als Bilder wären. Wären sie etwas schöner oder künstlerisch wertvoller könnte man sie bestenfalls ins Museum hängen. Aber wer wolle sich schon Organigramme anschauen?! Wichtig in der (systemischen) Beratung ist nicht die theoretische Struktur, sondern die gelebte Dynamik. Er sprach davon, dass die machtvollste Person im Konstrukt häufig im Organigramm höchstens als Randnotiz auftauche. Er hatte hierbei die Vorstandsassistenz im Kopf! Simples Beispiel, aber recht hat er. Hier wird entschieden wer wann vorgelassen wird. Rein hierarchisch betrachtet dürfe an dieser Stelle nicht so viel Macht sein. Aber Macht hat nicht zwangsläufig etwas mit Position zu tun. In der meiner Zeit in der Luftfahrt war die Unterscheidung zwischen “Positional Power” und “Personal Power” bereits definiert und es war klar, dass es beides unabhängig voneinander gibt und es im besten Fall zusammenkommt. Diese Konstellation schafft am meisten Klarheit. Die Luftfahrt hatte übrigens kein Problem damit, beim Kapitän totale Macht in Form der absoluten Entscheidungsgewalt zu zentralisieren. § 12 des Luftsicherheitsgesetzes macht diesen allmächtigen Kapitän auch noch zum sogenannten Beliehenen des Polizeirechts. Das heißt der Chef war auch noch die staatliche Exekutive.

Die dunkle Seite der Macht

Was ich mit meinem ursprünglichen professionellen Hintergrund lange nicht verstanden habe ist, warum Hierarchie und die damit einhergehende Macht einen derart schlechten Ruf hat. In meiner alten Welt hat das alles ganz wunderbar funktioniert. Im Alltagsverständnis der Menschen wird Macht jedoch häufig mit Autorität, Machtmissbrauch und entsprechenden Seilschaften in Verbindung gebracht und spätestens seitdem die sogenannte dunkle Triade schlechter Führung, die Kombination aus auch narzisstischen, machiavellistischen und psychopathischen Charakterzügen, überdurchschnittliche häufig in den Etagen der Top-Manager zu finden ist, scheint der Ofen aus! Macht ist schlecht! Ich halte dagegen: Nicht Macht ist schlecht, sondern die Tatsache, dass sich das Kant’sche Ideal des weisen Anführers nicht durchgesetzt hat.

Der große Vorteil von Macht als solches ist, dass sie durch Hierarchie formalisiert wird und somit schneller gearbeitet und entschieden werden kann. Besonders in einem komplexen und dynamischen Umfeld kann das Vorteile haben und wenn es wie in der Luftfahrt um Menschenleben geht, sollte man nicht mit basisdemokratischen Diskussionen beginnen, die ohne einen klaren hierarchischen Bezug häufig schnell zu persönlichen und destruktiven Konflikten führen und damit Entscheidungen unnötig und gefährlich in die Länge ziehen und irgendwann zu Mustern wie Grüppchenbildung und Intrigenspinnereien führen können. Der Konflikt wird zum Dauerzustand und es geht Menschen schließlich nicht mehr um Fakten und Lösungen, sondern um Positionen. Derartiges Verhalten und dessen Auswüchse lässt sich übrigens ganz wunderbar in der sehr machtorientierten Spitzenpolitik beobachten. Und wie erfolgreich Spitzenpolitik in wirtschaftlichen Kontext ist zeigen Projekte wie Stuttgart 21 oder Großflughafen Berlin-Brandburg recht deutlich. Läuft bei uns im Land!

Luhmanns Erben: eine kurze systemtheoretische Betrachtung

Klar, eine Formalisierung von Macht bietet besonders all jenen, die besser niemals in der Verantwortung kommen sollten, Macht zu haben, ungeahnte Möglichkeiten ihre Macht zu missbrauchen, auszunutzen, andere klein zu halten und sich selbst geradezu gottgleich zu erhöhen. -Oder sich einfach völlig zu überschätzen! Somit ist die Forderung “Weg mit der Macht! - Weg mit der Hierarchie!” völlig berechtigt. Allerdings wäre das viel zu einfach. Folgt man der Systemtheorie nach Niklas Luhmann ist Macht ein Kommunikationsmedium, das direkt auf das Handeln abzielt und so ermöglicht Prozesse zu beschleunigen, Entscheidungen zu treffen, seinen Einfluss geltend zu machen und andere ins Handeln zu bringen. -Aus organisationaler Sicht erstmal nichts Schlechtes. Ferner beschreibt Luhmann, dass wo immer sich Menschen organisieren, Macht automatisch Teil des Systems ist. Über Hierarchien ist diese Macht am transparentesten greifbar oder sichtbar. Aber selbst, wenn man die organisationale Konstruktion der Hierarchie formal oder durch einen neue Rollendefinition (z.B. der Leader ist jetzt eine Servant Leader) aus dem System herausnimmt verschwindet die Macht damit nicht. Sie entkoppelt sich von der Position, taucht ab und verteilt sich schließlich neu. Aus formeller Macht wird informelle Macht. Dahinter steckt ein festes Muster, dass sich “Systemtheoretischer Machterhaltungssatz” nennt. -Im Prinzip wie das Energieerhaltungsgesetz, das der ein oder andere vielleicht aus der Physik kennt... - Die Macht im System bleibt immer die gleiche, egal ob als Hierarchie sichtbar, oder eben in der informellen Variante unsichtbar, aber eben so problematisch, wenn sie in die falschen Hände fällt.

Wie gute Kapitäne im Flugzeug müssen gute Teammitglieder in New Work Strukturen lernen, weise mit ihrer Macht umzugehen. Kapitäne sind in der Lage das zu lernen, weil sie sich ihrer Macht bewusst sind. Ich erlebe es gerade im Rahmen von Transformationen hin zu dem was die einen Agilität und die anderen New Work nennen noch viel zu selten, dass transparent über das Thema informelle Macht auf Ebene der Mitarbeitenden gesprochen wird. Dementsprechend ist es auch nicht möglich die Mitarbeitenden zu sensibilisieren und im weisen Umgang mit Macht zu schulen. Kant stand ja leider noch nie in den Amazon-Bestseller-Listen. Ohne eine Sensibilisierung für Macht ist es fast zu erwarten, dass die Organisationen nicht schneller oder flexibler werden, obwohl sie gemessen an New Work Standards quasi State of the Art sind. Was anstatt Geschwindigkeit und Flexibilität an der Tagesordnung sein wird, sind gefühlt endlose und ermüdende Diskussion wie beim Elternabend in der Grundschule und endlose Meeting-Kaskaden, die man im virtuellen Setting wenigstens nutzen kann um seine Mails zu checken.

Was gilt es also zu tun? Ganz einfach, über Macht reden, sie nicht tabuisieren und ein Verständnis dafür schaffen, in welchem Kontext oder in welcher Ausprägung Macht etwas ausgesprochen Positives sein kann. So können Machtdynamiken wahrgenommen und als solche identifiziert werden . Und natürlich müssen Rollen im Rahmen eines Hierarchieabbaus neu und eindeutig geklärt werden. Wer darf was und was nicht? Wie teilen wir die Macht neu auf? Besonders Agilität braucht einen sehr klaren Rahmen.

Und zum Schluss doch noch einmal diese dunkle Triade schlechter Führung

Zum Abschluss liegt mir noch ein wichtiger Punkt auf dem Herzen. Denn selbst wenn Hierarchie vereinfacht und abgeflacht wird, wird es trotzdem in den meisten Unternehmen die “oberste Ebene” geben. Nennt sie Geschäftsführung, Top-Management, oder wie auch immer es für euch passt. Sie ist der Beweis dafür, dass Positional Power auch weiterhin existiert, jedoch in deutlich vereinfachter Form. Diese Vereinfachung rückt die Top-Ebene stärker in den Fokus. Ein Repräsentant der dunklen Triade kann in diesem Konstrukt ungleich mehr Schaden anrichten. Er bekommt weniger Gegenwind auf Augenhöhe und dient zu allem Überfluss auch noch als Vorbild für all jene, die nach mehr Macht streben, nicht nur auf Ebene der Führungskräfte, sondern auch auf Ebene der Mitarbeitenden. So kann man sehr verlässlich eine klare Unternehmenskultur gestalten, ob diese jedoch hilfreich ist, lasse ich mal dahingestellt.

Im Umkehrschluss bedeutet das, dass das Top-Management sich noch bewusster darum bemühen muss seine Machtposition positiv auszufüllen.

So einfach und doch zu kompliziert… Systeme sind schon spannend, aber nach zu viel Luhmann brummt mir tatsächlich immer ganz schön der Schädel. Ich geh jetzt ein wenig raus und genieße das Wetter im Schatten. Ich hoffe es liegt auch in eurer Macht, euch ein schönes Plätzchen für diesen Sommersonntag zu suchen!

Eure Constance

Alles unter Kontrolle

Grüße aus der Schaltzentrale der Macht!