Sind wir die, die unendlich viel wissen und nichts mehr verstehen?

Die Suche nach Bedeutsamkeit

Nach meinem Workshop an der Uni in Maastricht Anfang Dezember schrieb mich eine der Studentinnen an. Sie untersucht im Rahmen ihrer Masterarbeit den Zusammenhang zwischen dem Konzept der “Job Meaningfulness”, also welche tiefere Bedeutung oder welchem Sinn wir unserem täglichen Tun geben, und Business Coaching. -Oder kurz gesagt welche Rolle Meaningfulness im Business Coaching spielt. In einem ersten Austausch zum Thema habe ich Jana spontan geantwortet, dass für mich als Coach die wichtigste aller Fragen, im Business wie auch privat, “Wofür?” ist. In einer zunehmend komplexen und immer dynamischeren Welt läuft der Mensch immer deutlicher Gefahr, die Richtung zu verlieren. Dieser Verlust an Richtung hat unterschiedliche Auswirkungen. Ich weiß, dass Burnout ein sehr vielschichtiges Krankheitsbild darstellt. Aber ich persönlich glaube nicht, dass Menschen primär ausbrennen, weil sie zu viel arbeiten, sondern weil sie nicht verstehen, wofür das alles gut sein soll. Wenn ich das Hamsterrad am Laufen halte, um das Hamsterrad am Laufen zu halten, kann das definitiv zu Frust, Demotivation und depressiven Verstimmungen führen. Ich erinnere mich noch daran, wie ich das Thema “Social Change in Human Factors” für einen Workshop in der Luftfahrt beleuchtet habe. Damals, in den achtziger Jahren, war, so glaube ich mich zu erinnern, Volvo das erste “Fließbandunternehmen”, das verstanden hat, dass Mitarbeitende bessere Leistungen erbringen, weniger krank und zufriedener sind, wenn sie den Sinn und Zweck ihrer Arbeit im Kontext des großen Ganzen verstehen und nicht einfach tagein, tagaus die gleiche Schraube ins gleiche Loch drehen um die Schraube ins Loch zu drehen. Der Mensch hat ein intrinsisches Bedürfnis nach Bedeutsamkeit und Sinn. -Und kann auch nur so Höchstleistungen erbringen. Die Straße zum Erfolg ist somit also mit magischer Bedeutsamkeit gepflastert.

Auch im Rahmen von Entscheidungsfindungsprozessen spielt das Wofür, bzw. das Ziel oder die Bedeutung hinter der Entscheidung eine wichtige Rolle. Leider fehlt es uns im Alltag scheinbar immer wieder an Zeit, uns die Wofür-Frage zu stellen. Als Coach im Business-Kontext biete ich meinen Kunden, Einzelkunden, wie auch Teams oder ganzen Organisationsstrukturen, den Raum, sich dahingehend zu reflektieren. Mein “Wofür” als Coach sehe ich vor allem auch darin, Menschen dabei zu unterstützen, in einer unübersichtlichen Welt, die im Außen immer weniger Orientierung bietet, ihre Orientierung im Innen zu finden, ihren inneren Kompass, der dem eigenen Tun im Einklang mit individuellen Werten und Glaubenssätzen Sinn oder Bedeutung gibt. Denn machen wir uns nichts vor: Am Ende möchte niemand von uns ganz und gar bedeutungslos sein. So kann es die Bedeutung sein, die unseren Entscheidungen in einer mehrdeutigen und unübersichtlichen Welt die nötige Richtung gibt.

Ich bin sehr gespannt auf mein offizielles Interview im Rahmen von Janas Forschung und natürlich auf ihre Ergebnisse.

“… randvoll mit Wissen aber mager an Erkenntnis.”

So ging ich also in die Weihnachtszeit. Das Thema “Bedeutung” hat mich aber nicht mehr losgelassen. Warum, oder WOFÜR braucht es Armadas von Coaches, die Menschen dabei unterstützen ihre Richtung zu finden? Offensichtlich haben sich meine werten Kolleginnen und Kollegen ähnliche Gedanken gemacht. Vielleicht sind diese Gedanken Teil des Zeitgeistes… Bei LinkedIn bin ich über ein Zitat von Roger Willemsen gestolpert, das mit folgenden Worten endete: “Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, voller Information, aber ohne Erkenntnis, randvoll mit Wissen, aber mager an Erkenntnis.” Oder wie Oscar Wilde es viele Jahre zuvor ausdrückte: “We read too much to be wise.” Und auch damit stand der von mir so verehrte Wilde nur in der Tradition einer Erkenntnis, die noch viel älter war. “Sapere Aude!” -”Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen,” rief Immanuel Kant der Menschheit bereits 1784 zu. Aber was ist, wenn wir glauben, keine Zeit mehr zu haben, um zu denken. Unser Verstand ist langsam und träge. Das hat schon Daniel Kahneman ausführlich beschrieben.

In einer zunehmend digitalen Welt, in der Informationen in einer ungefilterten Flut überall und stets verfügbar sind, sind wir alle dazu verführt zu konsumieren, was das Zeug hält. Nehmen wir uns die Zeit, alles das in einen Kontext zu setzen, darüber zu reflektieren, uns bewusst zu werden, was das alles denn nun wirklich für uns bedeutet? -Wofür das alles hilfreich oder hinderlich ist? Ich kann nur für mich sprechen, aber mir fällt es durchaus schwer, mir dieses Zeit zu nehmen, weil ich immer wieder behaupte, dass ich sie nicht habe.

Die Stilblüten dieses Verhaltens nehmen wir meiner Meinung nach inzwischen selbst in höchsten politischen Diskussionen wahr. Vor ein paar Tagen sagt der Präsident des Verfassungsschutzes in einem Bericht der guten alten Tagesschau (ich bin super “old school” was meinen eigenen Medienkonsum betrifft!), dass er unsere Demokratie in Gefahr sieht! “Hoppala,” dachte ich mir. Die schweigende Masse müsse sich erheben. Und wahrscheinlich hat der damit irgendwie recht. Aber nun stelle ich mir vor, dass auch noch die schweigende Masse auf allen Kanälen ihre Meinung kundtut. Das entschleunigt in keinster Weise. Vielleicht trägt genau das sogar zu einer weiteren Eskalation bei.

Informationsflut bis zum Ende der menschlichen Freiheit?

Wie sollen wir als Gesellschaft nun umgehen mit diesem Überangebot an ungefilterter Information in einer Welt, die sich immer schneller zu verändern scheint? Die Diskussionen über die Kontrolle sozialer Medien oder über den Umgang mit künstlicher Intelligenz sind allgegenwärtig und ich merke, dass ich absolut zwiegespalten bin. Meine Freiheit (auch in Hinblick auf die Wahl meiner Informationskanäle) ist einer meiner höchsten Werte und bei dem Wort Medienkontrolle oder Zensur dreht sich mir der Magen um. Gleichzeitig denke ich an Kant: Für ein friedliches und erfolgreiches gesellschaftliches Miteinander braucht es vor allem auch Weisheit. Nun ist es so, dass wir ganz so wie Oscar Wilde es beschrieben hat vielleicht wirklich zu viel lesen, hören, sehen um wirklich weise zu sein. Was uns fehlt ist die Zeit selbst zu denken, zu hinterfragen, die Ziele hinter den Zielen zu erkennen, weil die omnipräsenten Fragen “wie?”, “wann?” und “warum?” sind. Verloren geht das Wofür. Wäre es hilfreich, mediale Kommunikation stärker zu regulieren? - Um Masse und Komplexität zu reduzieren, damit sich wieder mehr Menschen die Frage nach dem Wofür stellen können? Keine Ahnung…

Zurück zum Business Coaching

Wie um alles in der Welt komme ich von der Frage nach der Bedeutsamkeit im Business Coaching auf das Ende der Demokratie? Inzwischen überrascht es mich nicht mehr, wenn meine Themen aus dem Business Coaching mich dahintreiben, die großen gesellschaftlichen Fragen zu beantworten. Denn am Ende ist auch Business oder Job eingebettet in etwas viel Größeres, das wir Zeitgeist oder Kultur nennen. Und wie immer lässt sich dieser Zeitgeist im Nachhinein immer leichter beschreiben. Die allgegenwärtig Informationsflut, die gefühlte Demokratisierung von Information, die inzwischen für jeden in Echtzeit verfügbar ist, zeichnet unsere Zeit aus meiner Sicht besonders aus. Chats und Mail fliegen hin und her und ermöglichen uns, dass alles viel, viel schneller passiert. Diese Dynamik wächst stetig an. Durch diese unfassbare Dynamik verändern sich die Dinge immer schneller. Getrieben durch Globalisierung hängt plötzlich alles mit allem zusammen und eine Veränderung in Wuhan legt mein Leben in einem Dorf bei Frankfurt gefühlt in Nullkommanix lahm…

Eingebettet in diesen Zeitgeist macht unser Business-Umfeld es uns nicht leicht, den Überblick zu bewahren, zumal schnelle Reaktionen überlebenswichtig sind. Entscheidungen müssen getroffen und umgesetzt werden, wieder und wieder und schneller als die Konkurrenz. Menschen suchen fast verzweifelt nach einem Wegweiser im Außen. Doch auch diese Wegweiser im Außen verändern sich schneller als wir sie finden können. Aus diesem Grund wird unser innerer Wegweiser zur gefühlt wichtigsten Konstante in unserem Leben, um die Richtung zu halten. Nennt es Purpose, Meaningfulness, Wofür… Die aus meiner Sicht wichtigste Fähigkeit, die wir Menschen benötigen um in dieser dynamischen, komplexen, mehrdeutigen und unübersichtlichen Welt, die wir nun wohl VUKA nennen, ist die, unseren eigenen Kurs zu halten. Ja, Organisationen geben ihr Bestes, mit Hilfe von Strategien, KPIs oder Purposes Bedeutung und Richtung zu geben. Aus meiner Sicht braucht es jedoch vor allem die eigene innere Richtung, die Bedeutung oder den Sinn, auf den ich mein Tun ausrichte, um mit Klarheit entschlossen durch dieses Chaos zu schreiten. Ich als Business Coach bin der Rahmen, den es braucht um aus der täglichen Raserei auszusteigen, innerzuhalten und das Wofür zu klären. Ist die Bedeutung, das Ziel hinter dem Ziel, geklärt, passiert der Rest häufig von allein.

Liebe Jana, liebe Lesende, natürlich geht es im Leben und im Business immer auch um Erfolg. Dieser Erfolg ist aus meiner Sicht jedoch eng verwoben mit dem Wofür, mit dem höheren Ziel (eines Individuums, eines Unternehmens, einer Gesellschaft). Somit ist der Weg zum Erfolg aus meiner Sicht mit der magischen Erkenntnis der Bedeutsamkeit gepflastert. Deshalb möchte ich euch zum Abschluss Willemsens vollständiges Zitat nicht vorenthalten: “ Wir hatten unserem Verschwinden nichts entgegenzusetzen, rieben uns auf im engen Horizont einer Arbeit, die ein Unternehmen stärker, erfolgreicher, effektiver machen sollte, aber nicht Lebensfragen beantwortete, die das Überleben sichern helfen würden. Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, voller Information, aber ohne Erkenntnis, randvoll mit Wissen, aber mager an Erkenntnis.”

Wachstum um des Wachstums Willen nennt man in der Medizin Krebs. Rennen um des Rennen Willens, schneller-höher-weiter hin zu einem Ziel, das keiner jemals definiert hat, ist vielleicht das Krebsgeschwür unseres Zeitgeistes.

Habt einen Sonntag voller Sinn und Bedeutung!

Eure Constance

Lasst es magisch werden…

Der Weg zum Erfolg ist gepflastert mit der magischen Erkenntnis der Bedeutsamkeit unseres Tuns.