New Work

Gut geplant ist nicht auch immer gut gemacht - Wenn Change einfach nicht funktionieren will

Denn ein Autofahrer ist ja auch kein Formel 1 Fahrer

Ich gehe davon aus, die meisten meiner Leserinnen und Leser haben einen Führerschein und fahren regelmäßig Auto. Alles kein Problem. Wahrscheinlich fahrt ihr auch mal mit fremden Autos. Selbst der Wechsel von Schaltgetriebe auf Automatik oder umgekehrt läuft halbwegs geschmeidig.

Nun stellt euch vor, morgen gibt es ein riesiges Upgrade für euch! Anstatt eines normalen Autos steht ein Formel 1 Rennwagen vor der Tür und ihr sollt damit zur Arbeit fahren! Läuft bei euch? Bei mir auf keinen Fall. Klar, er hat vier Reifen, ein Lenkrad und einen Motor und ich habe einen Führerschein. Zur Arbeit werde ich es mit diesem Gefährt jedoch sicher trotzdem nicht schaffen. -Auch wenn ich es noch so gerne wollte.

So wie mir mit dem Rennauto geht es vielen Menschen während oder nach sogenannten Transformationsprozessen der Organisationen für die sie arbeiten. Im Hintergrund wird geplant, analysiert, optimiert und irgendwann stellt die Organisation den Mitarbeitenden das Formal 1 Auto untern den Arbeitsmodellen vor die Tür (nennt es New Work, Agilität oder wie auch immer) und keiner ist da, der es fahren kann. Blöd irgendwie.

Die vier Seiten ganzheitlicher Transformation

Was gilt es also zu beachten, damit eine Transformation oder ein Change erfolgreich ist? Die Herren Wilber und Ackerman haben hierfür ihr “Vier-Quadranten-Modell” erstellt, das die vier Felder auf welchen “transformiert” werden muss um nachhaltigen Erfolg zu erzielen, beleuchtet. Hierbei gibt es eine Achse aus Kollektiv und Individuum und einer Achse aus Innen und Außen.

Auf der Seite des Kollektivs im Außen entsteht das Rennauto. Hierbei wird intensiv an Strukturen und Prozessen gearbeitet. Im Innern wird an den Themen Kultur und Kommunikation gearbeitet, damit das schicke neue Rennauto auch auf Begeisterung stößt. Ich kann mich noch lebhaft an Zeiten erinnern, in denen im Prinzip nur und ausschließlich auf struktureller und prozeduraler Ebene gearbeitet wurde und nehme inzwischen wahr, dass immer intensiver auch Wert auf den kulturellen Wandel und ein angemessenes Kommunikationskonzept gelegt wird. Das ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung erfolgreicher Change-Prozesse. Allerdings fehlen bei dieser Herangehensweise noch immer zwei der laut Wilber und Ackerman relevanten vier Quadranten. -Also die Hälfte!

Denn New Work braucht Inner Work

Da steht es also, unser Rennauto. Dank eines guten Kommunikationskonzeptes finden es zunächst auch alle toll. Die Freude ist groß. Allerdings stellt sich sehr schnell Ernüchterung ein, denn so wie ich am Montagmorgen um mein Rennauto schleiche, so schleichen auch die betroffenen Menschen um das tolle neue Arbeitsmodell und wissen nichts damit anzufangen. Der Frust steigt!

Auf der Ebene des Individuums muss sich im Außen um die Themen Verhalten und Fähigkeiten gekümmert werden. Hierbei stellen zum Beispiel Agile Coaches eine tolle Unterstützung dar. Sie vermitteln das notwendige Handwerkszeug, spiegeln Verhalten und geben Feedback. Zusätzlich erstellt HR eine Lernreise hin zu Agilität, Scrum, Kanban, neuen IT-Systemen oder was es auch immer braucht. Drei von vier Quadranten sind abgedeckt.

So lernen die Menschen in einer Organisation Schritt für Schritt wie das neue, tolle Auto bedient werden muss, um von A nach B zu kommen. So weit so gut. Allerdings ist das neue Auto einfach deutlich schneller als das alte. Ein kleinwenig mehr Gas fühlt sich an wie eine Explosion und die Geschwindigkeit macht unsicher, ggf. sogar ängstlich. Und was ist mit denen die vorher lieber Bus gefahren sind? Es läuft zwar irgendwie, trotzdem wirkt es künstlich, unnatürlich, verkrampft. Man passt sich eben notgedrungen an. Dabei haben weder der Rennwagen noch der Fahrer Spaß. Der Rennwagen muss sich damit abfinden permanent in der Under-Performance zu sein, was dem Motor sicher nicht gefällt. Und der Fahrer ist permanent unsicher oder wenigstens niemals absolut sicher.

Was fehlt ist der vierte Quadrant in Wilbers und Ackermans Modell: Im Inneren muss sich mit dem Individuum inklusive seiner oder ihrer Haltung und Psyche beschäftigt werden, damit die Transformation erfolgreich sein kann. Warum ist das so wichtig? In modernen Kollaborationsmodellen verändert sich vor allem das Thema Führung und Macht. Jede und jeder bekommt in New Work Strukturen einen kleinen Teil der Macht, die in traditionellen Kollaborationsmodellen zentral bei der Führungskraft lag. Das nennt sich dann Empowerment und bedeutet selbstverständlich nicht, dass sich plötzlich alle so verhalten wie früher die Chefs. Vielmehr müssen nun alle gemeinsam im Team entscheiden, sich weiterentwickeln und gemeinsam lernen. Um hier gut und sicher zu agieren braucht es bestimmte Kompetenzen, die Menschen lernen müssen, wie eben auch Rennauto fahren, um dann nicht nur theoretisch schnell fahren zu können, sondern auch so viel Spaß dabei zu haben, dass die Performance des Autos wirklich Formel 1 würdig wird.

Persönlichkeitskompetenzen in einer dynamischen und komplexen Welt

In diesem Zusammenhang haben bereits vor einem guten Jahr Bettina Rollow und Joana Breidenbach drei Kompetenzfelder beschrieben, die in neuen Arbeitsmodellen eine besondere Rolle spielen: die individuellen Kompetenzen, die Beziehungskompetenzen und die Feldkompetenzen. Was gilt es in diesen drei Bereichen konkret zu lernen?

Im Bereich der individuellen Kompetenzen gibt es zwei Ebenen, auf denen ein besonderes Augenmerk liegen sollte: der Selbstkontakt und die Selbstreflexion. In der neuen Arbeitswelt mit fluiden Führungsrollen und weniger äußeren Vorgaben wird der Mensch selbst zu seinem wichtigsten Kompass und Richtungsgeber. Ist der Mensch in einem guten Selbstkontakt ist er sich seiner eigenen Gefühle stärker bewusst und somit in der Lage seine Umwelt bewusster und realistischer wahrnehmen. So können Beziehungen bewusster gestaltet werden, was wiederum dazu führt, dass zum Beispiel Entscheidungen informierter und analytischer getroffen werden, da diese auf mehreren Perspektiven und einer breiteren Faktenlage basieren. Eine gute Selbstreflexion wiederum bedeutet eigene Verhaltensmuster und dahinterliegende Bedürfnisse zu erkennen und so das persönliche Handlungsspektrum zu erweitern. Zum üblichen Reagieren kommt proaktives Agieren hinzu. Auf diese Weise kommen Menschen in der Selbstorganisation deutlich besser zurecht und können leichter eigenverantwortlich mitgestalten.

Schauen wir uns genauer an was sich konkret hinter dem Feld der Beziehungskompetenzen verbirgt, fällt hier zunächst das Thema Empathie, bzw. die transparente und empathische Kommunikation ist Auge. Erfolgreiche Zusammenarbeit im Team hängt in erster Linie von einer guten Beziehungsbasis ab, die eine Arbeitsatmosphäre der von mir so oft beschriebenen psychologischen Sicherheit schafft. Damit eine positiv bewertete Beziehungsbasis entstehen kann, sind unter anderem Fähigkeiten und Techniken der empathischen Kommunikation notwendig. Nur wenn alle im Team in der Lage sind sich auch hinsichtlich ihrer Gefühle und Bedürfnisse präzise und klar auszudrücken, wird es möglich, offen zu diskutieren, ehrliches Feedback zu geben und Konflikte konstruktiv anzugehen. Das Thema Konflikte bringt uns auch schon automatisch zum zweiten Feld im Bereich der Beziehungskompetenzen, das für uns von besonderem Interesse ist: die Fähigkeit, Spannungen auszuhalten. In selbstorganisierten Teams mit hoher Eigenverantwortung wird sehr intensiv um den besten gemeinsamen Kurs gerungen. Hierbei verstecken sich nicht selten Beziehungskonflikte im Mäntelchen der Sachkonflikte. Es ist wichtig, Spannungen im Team zu erkennen und die Angst vor Konflikten abzubauen. Offen über alle relevanten auch nicht fachlichen Themen zu sprechen ist von großer Bedeutung, wenn man das Team tatsächlich als Gesamtressource nutzen möchte. Unangenehmes unter den Teppich zu kehren ist kontraproduktiv.

Im dritten relevanten Bereich, den sogenannten Feldkompetenzen, geht es darum in all der Dynamik und Komplexität, aber auch in dieser Welt voller Möglichkeiten den Überblick nicht zu verlieren. Zwei besonders interessante Bereiche sind hier die sogenannte Metareflexion und die Fähigkeit zur Multiperspektivität in einem Team. Unter Metareflexion versteht man die Fähigkeit die kollektiven mentalen Modelle des Teams zu verstehen. Das heißt welche kulturellen Normen hinsichtlich der Zusammenarbeit gibt sich ein Team und welche sozialen Dynamiken herrschen im Team? Besonders in einem Umfeld der hohen Eigenverantwortung ist diese Fähigkeit von besonderer Bedeutung, da sie eine Voraussetzung dafür ist, einen gemeinsamen Rahmen für das Handeln der einzelnen Teammitglieder zu setzen. Ferner hat die Fähigkeit zur Metareflexion auch direkten Einfluss auf die Multiperspektivität. Multiperspektivität bedeutet, dass jede und jeder im Team ein Verständnis dafür entwickelt, dass Menschen auf Grund ihrer unterschiedlichen Erfahrung auch unterschiedliche Perspektiven und Haltungen entwickeln, wobei jede dieser Perspektiven eine wichtige und wertvolle Ergänzung des Gesamtbildes darstellt. Bei Multiperspektivität geht es nicht darum, andere Perspektiven oder Einschätzung zu respektieren. Multiperspektivität geht hier noch einen Schritt weiter: Es geht darum diese unterschiedlichen Perspektiven wertzuschätzen und jede unterschiedliche Einschätzung dankbar zu durchdenken.

In diesem dritten Bereich passiert aus meiner Erfahrung unter der Überschrift “Diversity & Inclusion” bereits eine Menge in Deutschlands Organisationen. Allerdings müssen wir meiner Meinung nach ein wenig aufpassen, dass diese wichtigen Bestrebungen nicht zur Modeerscheinung verkommen. Außerdem würde ich als Coach gerade mit Fokus auf die Feldkompetenzen der Mitarbeitenden zusätzlich zu Mann-Frau-Herkunft-sexuelle Orientierung-Generationen-Thematik den Fokus auch auf das Thema der kognitiven Diversität richten, denn in letzte Konsequenz geht es auch hierbei darum Unterschiedlichkeit zu integrieren und einen gemeinsamen Weg zu finden.

Der systemische Coach und Change Manager als Fahrlehrer in Rennwagen-Organisationen

Ja, Unternehmen sind gut beraten, wenn sie ihren Mitarbeitenden Fahrstunden für das neue Arbeitsmodell, die neue Struktur, den neuen Prozess anbieten. - Und zwar ganzheitlich, auf allen im Modell beschriebenen Ebenen. Hierbei können systemische Coaches und Change Manager so viel mehr leisten, als Kommunikationskonzepte zu entwickeln. Sie habe das Handwerkszeug um auch an den individuellen Kompetenzen, den Beziehungskompetenzen und den Feldkompetenzen zu arbeiten, wenn man ihnen den Raum und den Rahmen dafür gibt. New Work needs inner work! Und hierbei sollte man beim Management beginnen. Nur so kann es zu diesen wunderbaren Flow-Erlebnissen auch in der wilden Welt der New Work kommen. Nur so werden Organisationen zu lernenden und hoch performanten Organisationen und sind nachhaltig den Herausforderungen unserer Zeit gewachsen. Eigentlich dürfte ich mir mit dieser Perspektive keine Gedanken hinsichtlich meiner beruflichen Zukunft machen. Dennoch merke ich wieder und wieder, dass es ein ewiger Kampf zu sein scheint, bei den Entscheidungsträgern für die Notwendigkeit systemischer Begleitung zu werben. Change wir häufig nur auf der Dimension der Strukturen und Prozesse gesehen. In diesem Zusammenhang ist klar, dass Menschen ihr neues Handwerk oder neue Fähigkeiten lernen müssen. Hier wird der Rahmen für gewöhnlich automatisch geschaffen. Im besten Fall wird die Ebene der Kultur und Kommunikation ebenfalls mit einbezogen. An dieser Stelle darf ich als Coach und Beraten häufig unterstützen und mitgestalten. Trotzdem fehlt die vierte Ebene, die individuelle innere Arbeit. Schauen wir uns all diese Veränderungsvorhaben an, die langfristig scheitern (es gibt Statistiken, die behaupten es seien 75%), liegt das gefühlt immer wieder daran, dass diese vierte Dimension einfach nicht Teil des Prozesses war und die Menschen ihre neuen Rennwagen zwar fahren, dabei aber viel zu vorsichtig sind, unter ihren Möglichkeiten agieren und dadurch irgendwann zunehmend frustriert werden.

Wie nehmt ihr diese unterschiedlichen Dimensionen in Veränderungsprozessen wahr? Besonders interessant würde ich Feedback von “Betroffenen” finden. Aber auch Feedback und Erfahrungen meiner Coach und Consultant Kolleginnen und Kollegen würde mich interessieren.

Habt einen schönen Sonntag.

Eure Constance

PS: Wer jetzt auf die Idee kommt, dass all die “Leader as Coaches”, also die Führungskräfte mit coachendem Führungsansatz, diese Lücke in Dimension vier füllen könnte, dem sei ganz klar gesagt “Nein!”. Eine Führungskraft ist und bleibt Führungskraft und der coachende Ansatz in der Führung hat ganz klare Grenzen. Mehr dazu findet ihr in meinem letzten Artikel. Also einfach weiter nach unten scrollen! ;)

Den Blick aufs grosse ganze

Erfolgreiche Transformation geht nur mit ganzheitlichem Ansatz. Denn New Work braucht auch Inner Work!

Wer beobachtet verändert! - Was Führungskräfte von Quantenphysikern lernen können

Für Annette

Ich weiß nicht, was ihr braucht um über den Tellerrand hinaus zu denken, um kreativ zu sein, um neue Impulse zu entdecken und um ihnen nachzugehen. Ich brauche den Diskurs, den Austausch, die Diskussion mit anderen. Diese wertvollen Impulse von außen regen meine grauen Zellen an und lassen mein eigenes Denken bunter werden. Neben all den mehr oder weniger zufälligen Alltagsbegegnungen, die mich zum Denken bringen, gibt es auch eine winzig kleine Handvoll Menschen, die mich seit Jahren begleiten und mit winzig kleinen Nadelstichen für die spannendsten neuen Ideen und Perspektiven sorgen. Ich kann euch nur von ganzem Herzen wünschen, dass auch diese winzig kleine Handvoll Menschen habt, die euer Denken bunter und leichter machen.

Seit vielen Jahren ist Annette eine meiner wertvollsten Impulsgeberinnen. Verdammt, manchmal frage ich mich wirklich wie ein einziger Kopf nur so voll von bunten Ideen sein kann, wie Annettes. Vor einer guten Woche bin ich über Annettes Status in WhatsApp gestolpert: Ein Männchen sitzt mit Fernglas auf einer Kiste und schaut scheinbar konzentriert ins Weite. Auf der Kiste steht “Wer beobachtet verändert.” Ich bin begeistert und schreibe Annette, dass ich sie wahrscheinlich schon am nächsten Tag zitieren würde. Veränderung und wie man sich auf allen Ebenen verhält um den Veränderungsprozess bestmöglich zu unterstützen ist eines meiner momentan wichtigsten Themen. Dabei ist Beobachten gerade für Führungskräfte ausgesprochen wichtig und passiert aus meiner Sicht nicht nur in virtuellen oder hybriden Settings viel zu selten.

Annette pflichtete mir bei und ergänzte ganz nebenbei, dass es sich dabei aber eigentlich um eine Theorie aus der Physik handle.

Und stetig weitet sich der Horizont…

Das war wieder einer dieser Impulse: Ich musste es genauer wissen, damit ich am nächsten Tag auch kompetent zitieren konnte. Ich fragt Meisterin Google, die mir wie immer ausgesprochen klug und fundiert antwortete. Tatsächlich handelt es sich bei der Theorie, dass Beobachtung Wirklichkeit beeinflusst um eine der wohl rätselhaftesten Prämissen der Quantentheorie, die bereits 1998 durch ein Experiment des in Israel ansässigen Weizmann Instituts in einer Versuchsreihe bestätigt wurde. Das Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Heilblum hat wissenschaftlich belegt, dass Elektronen sich unter Beobachtung anders verhalten und bestimmte messbare Interferenzen im Zusammenspiel der Elektronen nur auftreten, wenn sie unbeobachtet sind…

Ich erspare ich euch quantenphysikalischen Details (es geht irgendwie um wellenförmiges und nicht-wellenförmiges Verhalten) und deren Bedeutung für die Technik der Zukunft, die auch ich nur ansatzweise verstanden habe und fasse das für den systemischen Berater Relevante zusammen: Unter Beobachtung verhalten sich Systeme anders, was wiederum bedeutet, dass der, der beobachtet auch verändert. Annette hat also recht. - Und ich konnte klug zitieren!

Das Konfetti in meinem Kopf

Was schließlich in meinem Kopf passiert, wenn derartige Impulse in den ein oder anderen Hirnregionen andocken ist ebenfalls ein wissenschaftliches Phänomen, dass ich nur in rudimentärsten Ansätzen verstehe. Es fühlt sich jedoch an als würde eine Konfettikanone alles einmal wild und kunterbunt durchmischen und eine neu (Un-) Ordnung voller Ideen entstehen lassen. Wie meine Hirnwindungen mich schließlich zum Thema Führungsverhalten im Rahmen von Veränderungsprozessen gebracht haben, ist deren Geheimnis. Aber die Erkenntnisse sind da und natürlich möchte ich diese nicht geheim halten.

Veränderung und Führung

Was Bedeutet Führung im Rahmen von Veränderungsprozessen überhaupt? Die wahrscheinlich wichtigste und wertvollste Erkenntnis für moderne Führungskräfte (nennt sie “Servant”, nennt sie “True”, nennt sie “Humble”, “Brave” oder was auch immer) sollte sein, dass Veränderung oder Change nicht mehr als singuläres Event zu verstehen ist. Veränderung ist der dauerhafte Normalzustand, angefeuert durch eine immer dynamischere und komplexere Umwelt. Das heißt der Veränderungsprozess wir niemals abgeschlossen sein und das ist gut so. Jede Organisation, jeder Organisationseinheit, jeder Einzelne von uns wird gnadenlos von der Dynamik unserer Welt überholt, wenn er in einen statischen Zustand kommt. Ob wir das nun als lernende Organisation oder kontinuierlichen Verbesserungsprozess bezeichnen, ist im Prinzip egal. Was zählt ist die Beweglichkeit.

Was brauchen Menschen, die in einer immerwährenden Dynamik wieder und wieder auf unbekannte Pfade geschickt werden? Raum und ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen. -Ich liebe es, wie mich mindestens 80% aller meiner Artikel stets zu meinem Kernthema, der sogenannten Psychologischen Sicherheit, führen!

Möchte ich als Führungskraft nun eine bewegliche, lernende Organisation, dann brauche ich als Basis Menschen, die sich sicher genug fühlen um Neues auszuprobieren, um innovativ zu sein, um kreativ zu sein und um den Raum, den ich ihnen im besten Fall gebe, auch zu füllen. Diese Menschen brauchen eine sichere Basis. Wie kann Beobachten zu dieser sicheren Basis beitragen? -Ganz einfach, wenn ich weiß, dass da jemand ist, der mir wohlwollend und unterstützend über die Schulter schaut, kann ich viel freier agieren und mein Potenzial voll ausschöpfen, weil ich vertraue, dass es OK ist, was ich tue, weil ich weiß, dass es gut ist, was ich tue. Und wenn es nicht gut ist bekomme ich wohlwollend Feedback, dass mich davor bewahrt in eine ungünstige Richtung abzubiegen.

Sicherheit geben durch wohlwollende Beobachtung

Es ist gefühlt mein täglich Brot, dass ich Führungskräfte dazu ermuntere, bewusst wahrzunehmen, was ihre Mitarbeitenden tun und dieses dann auch entsprechend anzusprechen, Feedback zu geben. Das steckt den Rahmen für die Mitarbeitenden ab und gibt das Gefühl von Sicherheit. Auf der anderen Seite ist es das täglich Brot der Führungskräfte, dass sie sich in hybriden oder virtuellen Settings immer schwerer tun, mitzubekommen, was ihre Teams tatsächlich tun. Beobachtung muss somit zu einer bewussten Entscheidung werden. Ich muss mir bewusst Zeit nehmen, um zu beobachten, was meine Mitarbeitenden tun. Ansonsten ist Feedback nicht möglich, ansonsten lasse ich eine wertvolle und einfache Möglichkeit ungenutzt, einen sicheren Rahmen in einer volatilen Welt zu schaffen.

Ich würde systemisch betrachtet sogar noch einen Schritt weitergehen: Auch Mitarbeitende können durch Beobachtung verändern. Denn auch Führungskräfte brauchen Feedback. In modernen Organisationsstrukturen wird Führung zunehmend zu einem interaktionellen Kreislauf. Das heißt die Führungskräfte werden geführt durch das Feedback ihrer Geführten. - So in etwa hat es der großartige Dr. Gunther Schmidt mal ausgedrückt. Und Recht hat er. Um gut führen zu können, sowohl auf der Ebene der direkten Mitarbeiterführung, als auch auf der Ebene der strategischen Entscheidungen, brauche ich Infos von vorderster Front. Um ein Servant Leader zu sein, muss ich wissen was meine Mitarbeitenden brauchen und wo die Schuhe drücken. Um strategisch gute Entscheidungen zu treffen, brauche ich eine möglichst breite Faktenbasis und im Elfenbeinturm der Führung bekomme ich viele Themen der Basis nicht automatisch mit. Wie relevant dieses Basisthemen jedoch sein können, hat uns dereinst Nokia eindrucksvoll bewiesen.

Mein Appell an alle Führungskräfte ist deshalb nicht nur ihre Mitarbeitenden wahrzunehmen und ihnen Feedback zu geben (und bitte nicht nur einmal im Jahr als bürokratischer Akt), sondern auch sich selbst als Mensch erlebbar zu machen und mit dem Team zu teilen, was man tut und denkt, denn nur dann haben die Teamkollegen einen Ansatzpunkt für Feedback. Liebe Führungskräfte, gebt euren Teams die Möglichkeit euch zu beobachten, euch zu erleben! Ja, auch das braucht Mut, aber der Nutzen ist enorm!

Und den Mitarbeitenden gebe ich den guten Rat wahrzunehmen, was ihre Führungskräfte tun und auch mal Feedback nach oben zu geben.

So erarbeiten sich beide Seite Vertrauen, Sicherheit und das gute Gefühl nicht allein zu sein. Ich beobachte und werde beobachtet. Eben das ist das Netz und der doppelte Boden, den ich brauche, um in einer mehrdeutigen, dynamischen, komplexen Welt mutig und kreativ zu sein.

Genießt euren Sonntag und probiert es vielleicht direkt am Montag mal aus.

Eure Constance

PS: Den nächsten Artikel gibt es nicht wie gewohnt in 14 Tagen, sondern erst in drei Wochen. Zum einen möchte auch ich nicht in zu tief ausgetretene Pfade der Gewohnheit geraten, zum anderen möchte ich in Ruhe und ein ganzes Wochenende lang Hochzeitstag feiern! ;)

Wer beobachtet verändert

Denn eine sich stetig wandelnde Welt brauch aufmerksame und präsente Frührung

Über flache Hierarchien und informelle Machtstrukturen - Die schöne neue Welt der Lähmung und der Intrigen...

Denn Macht ist böse…

Macht ist pfui! Und weil wir dem Aberglauben erliegen, dass Macht in unseren Organisationen immer auch mit Position einher geht hat man nun also entschieden, Hierachieebenen aus Organigrammen rauszunehmen und Hierarchie fortan flacher zu gestalten! Agilität lässt grüßen! Der Lead ist plötzlich “Servant”, Einzelbüros sind abgeschafft und auch anhand der Zuteilung der Parkplätze im firmeneigenen Parkhaus kann man die Positionen der einzelnen Mitarbeitenden nicht mehr ablesen. Ob Hierarchie dadurch tatsächlich flacher wird, lasse ich mal dahingestellt. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang was mit der Macht passiert.

Ich beginne mal mit einer Reise zurück in die Zeit in der ich angefangen habe, mich intensiver mit systemischer Beratung, bzw. systemischen Change Management auseinanderzusetzen. In besonders guter und lebhafter Erinnerung ist mir ein Video von Dr. Gunther Schmidt geblieben. -Wahrscheinlich einer der Väter der systemischen Beratung In Deutschland. Er sprach von Organigrammen und dass Organigramme für systemische Berater im Prinzip nichts als Bilder wären. Wären sie etwas schöner oder künstlerisch wertvoller könnte man sie bestenfalls ins Museum hängen. Aber wer wolle sich schon Organigramme anschauen?! Wichtig in der (systemischen) Beratung ist nicht die theoretische Struktur, sondern die gelebte Dynamik. Er sprach davon, dass die machtvollste Person im Konstrukt häufig im Organigramm höchstens als Randnotiz auftauche. Er hatte hierbei die Vorstandsassistenz im Kopf! Simples Beispiel, aber recht hat er. Hier wird entschieden wer wann vorgelassen wird. Rein hierarchisch betrachtet dürfe an dieser Stelle nicht so viel Macht sein. Aber Macht hat nicht zwangsläufig etwas mit Position zu tun. In der meiner Zeit in der Luftfahrt war die Unterscheidung zwischen “Positional Power” und “Personal Power” bereits definiert und es war klar, dass es beides unabhängig voneinander gibt und es im besten Fall zusammenkommt. Diese Konstellation schafft am meisten Klarheit. Die Luftfahrt hatte übrigens kein Problem damit, beim Kapitän totale Macht in Form der absoluten Entscheidungsgewalt zu zentralisieren. § 12 des Luftsicherheitsgesetzes macht diesen allmächtigen Kapitän auch noch zum sogenannten Beliehenen des Polizeirechts. Das heißt der Chef war auch noch die staatliche Exekutive.

Die dunkle Seite der Macht

Was ich mit meinem ursprünglichen professionellen Hintergrund lange nicht verstanden habe ist, warum Hierarchie und die damit einhergehende Macht einen derart schlechten Ruf hat. In meiner alten Welt hat das alles ganz wunderbar funktioniert. Im Alltagsverständnis der Menschen wird Macht jedoch häufig mit Autorität, Machtmissbrauch und entsprechenden Seilschaften in Verbindung gebracht und spätestens seitdem die sogenannte dunkle Triade schlechter Führung, die Kombination aus auch narzisstischen, machiavellistischen und psychopathischen Charakterzügen, überdurchschnittliche häufig in den Etagen der Top-Manager zu finden ist, scheint der Ofen aus! Macht ist schlecht! Ich halte dagegen: Nicht Macht ist schlecht, sondern die Tatsache, dass sich das Kant’sche Ideal des weisen Anführers nicht durchgesetzt hat.

Der große Vorteil von Macht als solches ist, dass sie durch Hierarchie formalisiert wird und somit schneller gearbeitet und entschieden werden kann. Besonders in einem komplexen und dynamischen Umfeld kann das Vorteile haben und wenn es wie in der Luftfahrt um Menschenleben geht, sollte man nicht mit basisdemokratischen Diskussionen beginnen, die ohne einen klaren hierarchischen Bezug häufig schnell zu persönlichen und destruktiven Konflikten führen und damit Entscheidungen unnötig und gefährlich in die Länge ziehen und irgendwann zu Mustern wie Grüppchenbildung und Intrigenspinnereien führen können. Der Konflikt wird zum Dauerzustand und es geht Menschen schließlich nicht mehr um Fakten und Lösungen, sondern um Positionen. Derartiges Verhalten und dessen Auswüchse lässt sich übrigens ganz wunderbar in der sehr machtorientierten Spitzenpolitik beobachten. Und wie erfolgreich Spitzenpolitik in wirtschaftlichen Kontext ist zeigen Projekte wie Stuttgart 21 oder Großflughafen Berlin-Brandburg recht deutlich. Läuft bei uns im Land!

Luhmanns Erben: eine kurze systemtheoretische Betrachtung

Klar, eine Formalisierung von Macht bietet besonders all jenen, die besser niemals in der Verantwortung kommen sollten, Macht zu haben, ungeahnte Möglichkeiten ihre Macht zu missbrauchen, auszunutzen, andere klein zu halten und sich selbst geradezu gottgleich zu erhöhen. -Oder sich einfach völlig zu überschätzen! Somit ist die Forderung “Weg mit der Macht! - Weg mit der Hierarchie!” völlig berechtigt. Allerdings wäre das viel zu einfach. Folgt man der Systemtheorie nach Niklas Luhmann ist Macht ein Kommunikationsmedium, das direkt auf das Handeln abzielt und so ermöglicht Prozesse zu beschleunigen, Entscheidungen zu treffen, seinen Einfluss geltend zu machen und andere ins Handeln zu bringen. -Aus organisationaler Sicht erstmal nichts Schlechtes. Ferner beschreibt Luhmann, dass wo immer sich Menschen organisieren, Macht automatisch Teil des Systems ist. Über Hierarchien ist diese Macht am transparentesten greifbar oder sichtbar. Aber selbst, wenn man die organisationale Konstruktion der Hierarchie formal oder durch einen neue Rollendefinition (z.B. der Leader ist jetzt eine Servant Leader) aus dem System herausnimmt verschwindet die Macht damit nicht. Sie entkoppelt sich von der Position, taucht ab und verteilt sich schließlich neu. Aus formeller Macht wird informelle Macht. Dahinter steckt ein festes Muster, dass sich “Systemtheoretischer Machterhaltungssatz” nennt. -Im Prinzip wie das Energieerhaltungsgesetz, das der ein oder andere vielleicht aus der Physik kennt... - Die Macht im System bleibt immer die gleiche, egal ob als Hierarchie sichtbar, oder eben in der informellen Variante unsichtbar, aber eben so problematisch, wenn sie in die falschen Hände fällt.

Wie gute Kapitäne im Flugzeug müssen gute Teammitglieder in New Work Strukturen lernen, weise mit ihrer Macht umzugehen. Kapitäne sind in der Lage das zu lernen, weil sie sich ihrer Macht bewusst sind. Ich erlebe es gerade im Rahmen von Transformationen hin zu dem was die einen Agilität und die anderen New Work nennen noch viel zu selten, dass transparent über das Thema informelle Macht auf Ebene der Mitarbeitenden gesprochen wird. Dementsprechend ist es auch nicht möglich die Mitarbeitenden zu sensibilisieren und im weisen Umgang mit Macht zu schulen. Kant stand ja leider noch nie in den Amazon-Bestseller-Listen. Ohne eine Sensibilisierung für Macht ist es fast zu erwarten, dass die Organisationen nicht schneller oder flexibler werden, obwohl sie gemessen an New Work Standards quasi State of the Art sind. Was anstatt Geschwindigkeit und Flexibilität an der Tagesordnung sein wird, sind gefühlt endlose und ermüdende Diskussion wie beim Elternabend in der Grundschule und endlose Meeting-Kaskaden, die man im virtuellen Setting wenigstens nutzen kann um seine Mails zu checken.

Was gilt es also zu tun? Ganz einfach, über Macht reden, sie nicht tabuisieren und ein Verständnis dafür schaffen, in welchem Kontext oder in welcher Ausprägung Macht etwas ausgesprochen Positives sein kann. So können Machtdynamiken wahrgenommen und als solche identifiziert werden . Und natürlich müssen Rollen im Rahmen eines Hierarchieabbaus neu und eindeutig geklärt werden. Wer darf was und was nicht? Wie teilen wir die Macht neu auf? Besonders Agilität braucht einen sehr klaren Rahmen.

Und zum Schluss doch noch einmal diese dunkle Triade schlechter Führung

Zum Abschluss liegt mir noch ein wichtiger Punkt auf dem Herzen. Denn selbst wenn Hierarchie vereinfacht und abgeflacht wird, wird es trotzdem in den meisten Unternehmen die “oberste Ebene” geben. Nennt sie Geschäftsführung, Top-Management, oder wie auch immer es für euch passt. Sie ist der Beweis dafür, dass Positional Power auch weiterhin existiert, jedoch in deutlich vereinfachter Form. Diese Vereinfachung rückt die Top-Ebene stärker in den Fokus. Ein Repräsentant der dunklen Triade kann in diesem Konstrukt ungleich mehr Schaden anrichten. Er bekommt weniger Gegenwind auf Augenhöhe und dient zu allem Überfluss auch noch als Vorbild für all jene, die nach mehr Macht streben, nicht nur auf Ebene der Führungskräfte, sondern auch auf Ebene der Mitarbeitenden. So kann man sehr verlässlich eine klare Unternehmenskultur gestalten, ob diese jedoch hilfreich ist, lasse ich mal dahingestellt.

Im Umkehrschluss bedeutet das, dass das Top-Management sich noch bewusster darum bemühen muss seine Machtposition positiv auszufüllen.

So einfach und doch zu kompliziert… Systeme sind schon spannend, aber nach zu viel Luhmann brummt mir tatsächlich immer ganz schön der Schädel. Ich geh jetzt ein wenig raus und genieße das Wetter im Schatten. Ich hoffe es liegt auch in eurer Macht, euch ein schönes Plätzchen für diesen Sommersonntag zu suchen!

Eure Constance

Alles unter Kontrolle

Grüße aus der Schaltzentrale der Macht!