Luftfahrt

Maastricht und ich - Runde II

Mein ganz persönliches Weihnachtswunder…

Auch als ich in diesem Jahr nun schon zum zweiten Mal die Universität Maastricht betrat um den Masterstudentinnen und Studenten im Bereich Wirtschaftspsychologie einen Workshop anzubieten, kam es mir erneut surreal vor. Verrückt, wie sich die Dinge für mich gefügt haben. Ich weiß noch genau, wie ich zum ersten Mal darüber nachdachte, wie man die Ideen der Luftfahrt zum Managen eines dynamischen, komplexen und mehrdeutigen Umfeld in die Welt hinaustragen könnte, Und nun stehe ich hier, in diesem altehrwürdigen Gebäude mitten im Zentrum Maastrichts. Ich liebe das Sprachen-Wirrwarr in den Gängen und diese flüchtigen Begegnungen: “Das ist XY. Er forscht bei uns im Department an…!” Und ich denke mir nur: Wow! Eigentlich müsste ich mal für sechs bis acht Wochen als Praktikant zu Gast sein um überall reinzuschnuppern. Es ist alles so spannend und zeigt mir wieder und wieder wie viel es noch zu lernen gibt! Mein eines kleines Leben wird dafür kaum ausreichen.

Völlig selig und voller Vorfreude bereitete ich meinen Raum vor und begrüßte die ersten Studierenden. Immer an meiner Seite meine liebe Freundin Conny. Uns hat das Schicksal (oder besser gesagt ihr Onkel) während Connys Bachelorarbeit zusammengeführt. Damals schaute sie sich eines meiner Trainings in der Luftfahrt an. Sie forscht in Maastricht für ihre Doktorarbeit und ich darf von ihrem großen Wissen profitieren und vor ihr lernen. Conny war wahrscheinlich die erste, über die ich meine Idee, den Ansatz des Human Factors Trainings aus der Luftfahrt hinaus in die Welt getragen habe.

So könnte man meinen, mein Erfolg hinge auch viel mit dem Glück der zufälligen Begegnungen zusammen. Sicher hatte ich das große Glück, viele wunderbare Menschen kennenzulernen. Aber dieses Glück hat sicher jeder, der mit offenen Augen und einem offenen Herzen durchs Leben geht. Ich stehe heute da wo ich stehe, weil ich all dieses zauberhaften Begegnungen gepflegt habe, ich habe hart gearbeitet und meinen Tram nie aufgegeben, weil ich an diesen Traum und auch an mich selbst geglaubt habe. -Selbst in den Momentan, in denen ich von anderen dafür belächelt wurde.

Was die Business-Welt von der Luftfahrt lernen kann…

Mit Conny lächelnd in der ersten Reihe sitzend ging mein zweiter Workshop in Maastricht also los. Was wollte ich den Studierenden vermitteln? In der Business-Welt geht es inzwischen wie auch in der Luftfahrt darum, Dynamik und Komplexität zu managen. Die Luftfahrt hat bereits vor Jahrzehnten verstanden, dass einzelne Menschen Dynamik und Komplexität gar nicht managen können. Es braucht Teams mit multiplen Perspektiven, einer breiten Wissensbasis um der stetig anwachsenden Dynamik und Komplexität unserer Zeit gerecht zu werden. Aus diesem Grund ging es in meinem Workshop vor allem darum, was Teams brauchen um erfolgreich zusammenzuarbeiten. Und, was sagt ihr? Was brauchen Teams um erfolgreich zu sein? Als aller erstes brauchen sie einzelne Teammitglieder, die den Mut haben, Verantwortung zu übernehmen und den Mund aufzumachen. Teams laden gerne dazu ein, sich als Individuum hinter dem Kollektiv zu verstecken. Nur so funktioniert es eben nicht. Ich erzähle den jungen Studierenden von diesem Co-Piloten, der nicht den Mut hatte, seinen Kapitän auf etwas anzusprechen, das ihm falsch erschien. An diesem Tag verloren 583 Menschen ihr Leben und ich stelle die Frage, wer nun Schuld sei, der Kapitän, der den Fehler gemacht hat, oder vielleicht doch der Co-Pilot, der den Fahler kommen sah, den Mund jedoch nicht aufgemacht hat. In einem komplexen Umfeld ist die Schuldfrage meistens nicht eindimensional zu klären. Vielmehr gilt es Systeme zu konstruieren, die die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolges minimieren. Hierbei zählt jeder einzelne Akteur, jede einzelne Perspektive. Ich weiß noch, wie ich damals, als ich meine Grundschulung als Stewardess hatte, verstanden habe, dass meine Perspektive nicht wichtig ist, obwohl ich jung und unerfahren war, sondern weil ich jung und unerfahren war.

Psychological Safety als Basis

Wie schwer es trotzdem ist, im täglichen Tun den Mund stets aufzumachen, merkte ich fortan auf jedem Flug. Und bis heute erlebe ich täglich, dass der Unterschied zwischen Theorie und Praxis in der Praxis einfach größer ist, als in der Theorie. Bis heute habe ich immer und immer wieder Momente, in denen ich wider besseren Wissens lieber schweige, als spreche. Was braucht es also, um zu sprechen? Es braucht das Gefühl, dass es OK ist zu sprechen, dass es sicher ist zu sprechen.

Da tauchte sie also wieder auf, diese sagenumwobene Psychological Safety. Sie ist so schwer zu umschreiben und doch so klar zu spüren. Also habe ich den Teilnehmenden meines Workshops eine praktischen Übung mitgebracht, um eben auch erfahrungsorientiert zu lernen, zu fühlen eben. Denn Psychological Safety kann ich niemanden beibringen. Ich kann bestenfalls Gedankenfutter, Food for Thought, mitbringen, das meinen Teilnehmenden hilft ihre Richtung hin zum großen Ziel zu finden. Weiß ich, wie sich das Ziel anfühlt und welchen Beitrag ich dazu leisten kann, ergibt sich der Weg.

Ich habe mich unglaublich gefreut, dass auch die beiden anwesenden Professor*innen Therese und Wim mitgemacht haben. Und auch Conny, meine Freundin und Doktorandin, war mit Feuereifer dabei. Die Gruppe hat ganz hervorragend interagiert und konnte im Nachgang viele der Punkte, die sie zuvor im Rahmen ihres Studiengangs theoretisch besprochen haben, auch im praktischen Miteinander analysieren. Besonders spannend war die Frage, welche Rolle die Teilnahme von Wim und Therese hinsichtlich der Teamdynamik gespielt hat. Für Therese und Wim wohl eine recht große, da beide sich bewusst zurückgehalten haben, damit die Studierenden sich nicht eingeschüchtert fühlen und frei und offen interagieren. Eine der Studentinnen sagte dazu, dass für sie die Teilnahme der beiden an der Übung absolut keine Rolle gespielt habe. Sie hat nicht darüber nachgedacht und sich komplett frei verhalten. Wie besser kann man ein psychologisch sicheres Lernumfeld beschreiben oder analysieren? - Aber auch die Rolle von Führung, die Menschen Raum gibt, sich selbst zurücknimmt, damit die anderen wachsen können.

Ich war ausgesprochen glücklich, diese Interaktion beobachten zu dürfen. Betrachten wir uns unsere Themen und Probleme, die globalen und die lokalen, die großen und die kleinen, dann braucht es eine junge Generation, die in einem Umfeld groß wird, in dem sie von Anfang an dazu ermuntert werden, ihren Mund aufzumachen. Denke ich an meine Schulzeit zurück, wurde ich zur Zurückhaltung erzogen. Galt ich doch als jung und ahnungslos. Ich habe eine ganze Weile gebraucht, bis ich wirklich ausreichend Mut hatte, offen kritisch zu sein, zu hinterfragen und Ideen anzubieten. Diese Zeit hat die nächste Generation wahrscheinlich nicht, wenn sie dieser Welt die neue Richtung geben will, die es braucht.

Was haben sich die Studierenden mitgenommen?

So verging mein Workshop wie im Fluge und ich habe um das akademische Viertel überzogen. Was ich mir jedoch nicht nehmen lassen wollte, war die Frage nach den Takeaways:

  • Eine positive Teamdynamik kann Fehler verhindern, auch wenn die Bedingungen und Umstände alles andere als gut sind.

  • Kultur und Haltung verspeisen auch in Transformationsprozessen Struktur und Prozesse zum Frühstück.

  • Speak up!

Gedanken zum Abschied…

Im Gehen haben Conny, Therese und ich noch darüber gesprochen, dass wir in einem kulturellen Wandel von der Tragweite der Industrialisierung stecken ohne es wirklich zu verstehen. Digitalisierung ist das große Thema unserer Zeit und wird Arbeitswelten und Arbeitskultur nachhaltig verändern. Auch deshalb braucht es ganz neue Ideen und Perspektiven. Ich erlebe noch immer vor allem qualitative und quantitativ messbare Veränderungsprozesse. Prozesse werden optimiert, was das Zeug hält… Aber am Ende schreit unsere Zeit wahrscheinlich nach substantiellen Veränderungen. Auch dafür brauche wir eine frische und neue Generation, die in der Lage ist, alles anders zu sehen, als wir. Unsere Herausforderung wird es sein, das auszuhalten! Der gegenwärtige Generationenkonflikt ist für mich durchaus greifbar.

Wo mich diese Veränderung hinführt? Keine Ahnung. Aber Coaches werden immer gebraucht. Denn der Mensch ist und bleibt die einzige Instanz, die in der Lage ist, Dynamik und Komplexität proaktive zu managen, wenn er denn die Richtung und den Überblick nicht verliert. Und ich als Coach bin an dieser Stelle wie eine Art Navigationshilfe für Individuen und ganze Organisationen. Ich persönlich denke, der Coaching-Markt wird sogar noch ein bisschen wachsen.

In diesem Sinne gehe ich jetzt auf den Weihnachtsmarkt und wünsche euch einen schönen ersten Advent!

Eure Constance

Maastricht und ich…

Und auch im nächsten Jahr wird sich das Riesenrad für mich weiterdrehen!

Denn die sicherste Airline ist die, die nicht fliegt! -Sicherheit vs. Produktivität

Ende einer Trilogie…

In meinen letzten beiden Artikeln habe ich über den Absturz einer Maschine der Air Ontario im kanadischen Dryden berichtet. Klar beschäftigt mich die Frage nach der Schuld. Immerhin sind Menschen gestorben, Menschen mit Träumen, Familien, Plänen. Ich habe die Ereignisse aus Sicht der einzigen überlebenden Flugbegleiterin und des verstorbenen Kapitäns berichtet. Beide haben ihr Bestes gegeben und dabei Fehler gemacht, Fehler, die menschlich für jeden nachvollziehbar sind, die uns vielleicht auch passiert wären, wären wir an ihrer Stelle gewesen. So hat jeder Schuld auf sich geladen, aber wie schwer wiegt diese Schuld wirklich? Die Crew agierte während der Ereignisse innerhalb der unternehmenskulturellen Möglichkeiten und Normen von Air Ontario und am Ende bleibt die Frage, ob nicht vielleicht das Management schuld ist, weil es keine angemessene Sicherheitskultur pflegte, die diesen Unfall vielleicht verhindert hätte? Zu diesem Ergebnis kamen jedenfalls die Unfallermittler. Es gab viele Faktoren, die zur Katastrophe führten. Aber am Ende fehlte es vor allem an einer gemeinsamen Sicherheitskultur bei Air Ontario, die es der Flugbegleiterin ermöglicht hätte zu sprechen, den Kapitän befähigt hätte stopp zu sagen. Vielleicht hätte der Flieger in einer soliden Sicherheitskultur noch nicht einmal den Flughafen von Thunder Bay verlassen. Aber lasst uns ein drittes Mal aus einer dritten Perspektive schauen was passiert ist.

Chronologie einer Katastrophe

Was führte am 10. März 1989 zum Tod von 24 Menschen? Auf den ersten Blick war es die Entscheidung des Kapitäns, nicht zu enteisen. Schuld eindeutig geklärt! Aber was führte zu dieser Entscheidung? Der Stress und Druck unter dem der Kapitän war? Der Flieger war ohnehin schon zu spät unterwegs und alles schien sich gegen den Kapitän zu verschwören. Vielleicht war er so gestresst, dass er das Eis auf den Tragflächen nicht wahrgenommen hat. Sonia, die junge Flugbegleiterin, hat das Eis jedenfalls gesehen, sich aber nicht getraut, den Kapitän darauf anzusprechen. So gesehen trägt auch sie Schuld. Hätte der Kapitän weniger gestresst gewirkt, wäre es Sonia vielleicht leichter gefallen, ihn anzusprechen.

Man kann es drehen und wenden wie man will, die Schuld ist in dieser komplexen Gemengelage nicht eindeutig zuzuordnen. Eine der Fragen, die mich beschäftigt, ist woher dieser Stress kam, der den Kapitän offensichtlich den Überblick verlieren ließ. Dazu müssen wir uns kurz die Schuhe des Managements von Air Ontario anziehen.

Sicherheit vs. Produktivität - Das alte Managementdilemma

Air Ontario war Ende der achtziger Jahre eine kleine, regionale Airline, die vor allem Zubringerflüge für Air Canada durchführte. Die kleine Airline war am Wachsen und führte gerade die Fokker F28 als neues, modernes Flugzeugmuster ein. Alles das geschah unter gnadenlosen Wettbewerbsdruck, der zu dieser Zeit unter anderem durch die kommerzielle Deregulierung der Luftfahrt hervorgerufen wurde. Im Prinzip stand den meisten Airlines das Wasser bis zum Hals und es ging darum, sich gegen die Mitbewerber durchzusetzen. Unter anderem bedeutete das für Air Ontario, dass die neuen Flieger um jeden Preis in der Luft sein mussten. -So auch am Morgen des 10. März. Die Fokker mit der Kennung C-FONF stand noch in Thunder Bay, als festgestellt wurde, dass die Auxiliar Power Unit (APU), eine Art Hilfstriebwerk, defekt war. An sich ist das kein allzu großes Problem. Die APU wird benötig, um auch am Boden Strom zu haben und liefert die initiale Energie zum Starten der Triebwerke. Sie kann jedoch auch durch ein Bodenstromaggregat ersetzt werden. So entschied Air Ontario, dass der Flieger mit Defekt auf die Reise geht. Derartige Entscheidungen werden bis heute getroffen. Ich weiß nicht, wie oft ich in meiner aktiven Zeit mit defekter APU unterwegs war.

Als die Crew bereits an Bord war, erfuhr Air Ontario, dass Air Canada noch 20 weitere Gäste für den Flug von Thunder Bay über Dryden nach Winnipeg buchen wollte. Mehr Gäste bedeutete mehr Geld und wenn die Gäste auch noch vom wichtigsten Kunden eingebucht werden, sagt man doch nicht nein! Mit dieser, aus Sicht des Managements absolut nachvollziehbaren Entscheidung, nahm die Katastrophe ihren Lauf. Für den Kapitän bedeutete dies, dass er noch vor dem Start den Flieger zum Teil enttanken musste. Ursprünglich wurde so viel Kerosin getankt, dass es bis nach Winnipeg ausgereicht hätte und die Crew in Dryden nicht nachtanken musste. Mit zwanzig Gästen mehr war der Flieger nun zu schwer. Der Kapitän wollte lieber Gäste ausladen. Das Management entschied jedoch, dass enttankt wird. Mehr Gäste, mehr Geld und außerdem kamen diese ja auch direkt von Air Canada. Außerdem waren die Plätze ja frei!

So ging es mit Verspätung Richtung Dryden. Die Gäste hatten Angst, dass sie ihre Anschlussflüge verpassten und der Kapitän war gestresst und zusätzlich sicher auch wütend. Die Wut und der Stress wurde mehr, als klar war, dass es in Dryden kein Bodenstromaggregat gab. Für ihn bedeutete das, dass er eines der beiden Triebwerke permanent laufen lassen musste. - Beim Ein- und Aussteigen der Gäste und auch beim Betanken. Besonders dieses sogenannte Hot Refueling, also das Tanken mit laufenden Triebwerken, stellt ein besonderes Sicherheitsrisiko dar. Der Druck auf den Kapitän muss immens gewesen sein. Er wurde beobachtet, wie er sehr wütend mit Air Ontario telefonierte. Aber Air Ontario war weit weg und er musste sich vor Ort in Dryden ziemlich allein gefühlt haben. Vielleicht hat er das Eis auf den Tragflächen nicht gesehen, vielleicht hat sein Unterbewusstsein das Eis auch einfach ausgeblendet, wusste es doch, dass ein Enteisen mit einem laufenden Triebwerk nicht möglich gewesen wäre. Nach dem Enteisen hätte man den Flieger nicht mehr starten können…

Sicherheitskultur - manchmal eine Mission Impossible

Nun kann man also sagen, das Management war schuld! Aber wie schwer wiegt diese Schuld? Das Management hat zunächst den primären Job des Managements, nämlich wirtschaftlich erfolgreich zu sein, gemacht. Wer will ihnen einen Vorwurf machen. Technische Zusammenhänge zwischen der APU, dem Enteisen und den Bodenstromaggregaten, der Kerosinmenge und der Aerodynamik sind nun wirklich nicht das Thema des Managements. -Ebenso, wie Excel-Tabellen mit Bilanzen nicht die Expertise von Piloten und Flugbegleitern ist. Aus diesem Grund braucht es einen Austausch zwischen beiden Seiten, einen Kompromiss.

Es liegt in der Natur der Dinge, dass ein jeder vor allem seinen eigenen Problemraum im Fokus hat. Hinsichtlich der Luftfahrt hatte und habe ich meinen Fokus auf Sicherheit, musste jedoch akzeptieren, dass die sicherste Airline die ist, die nicht fliegt ist. Und da eine Insolvenz als absolute Sicherheitsmaßnahme auch irgendwie ungünstig ist, geht es darum, bestmögliche Kompromisse einzugehen. Dieses bewusste eingehen eines Kompromisses nennt man Sicherheitskultur. Wie ausgeprägt diese ist, muss jede Airline für sich selbst festlegen. Eine Gradwanderung ist es allemal. In meiner früheren Sicherheitskultur war es undenkbar, dass ein schlafendes Kind zur Landung nicht angeschnallt wird, oder dass Notausgänge zur Landung mit Handgepäck zugestellt wurden. Sehr regelmäßig haben sich meine Gäste darüber zum Teil recht heftig beschwert. Airline XY sei viel besser und familienfreundlicher. Habe man da das Kind doch einfach schlafen lassen… Ja, Sicherheit ist nicht nur teuer, sondern zuweilen auch wenig kundenfreundlich. Aber ist ein Unfall wie der von Air Ontario eine Alternative? Und ja, sagt gerne, dass ist lange her! Aber dann schaut Euch das Marktumfeld von Airlines Ende 2022 an! Der Druck auf Management und Besatzung ist riesig. -Und eine funktionierende Sicherheitskultur ist gerade im Moment umso wichtiger.

Und wie geht Sicherheitskultur

Eigentlich geht Sicherheitskultur ganz einfach: Jeder Einzelne übernimmt die Verantwortung, Probleme und Missstände anzusprechen. Wie bei Kulturen so üblich muss auch die Sicherheitskultur von allen Akteuren getragen werden. Am Ende des Tages geht es um Kommunikation: Um Zuhören und um das Vertrauen auch kritisch sprechen zu dürfen. So lande ich auch beim Thema Sicherheitskultur wieder bei meinem Hauptthema: Psychologische Sicherheit. Das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen braucht es auf allen Ebenen, damit es zu einem ehrlichen Austausch kommt, der die tatsächlichen Probleme ehrlich wiedergibt. Nein, das Management muss sich nicht mit technischen Aspekten der Fliegerei auskennen. Es muss sich aber bewusst darüber sein, dass jede ihrer Entscheidungen Auswirkungen hat, deren tatsächlich Auswirkungen aus Managementperspektive oft nicht allumfassend in Betracht gezogen werden können. Derartige Entscheidungen müssen von denjenigen getroffen werden, die das tatsächliche Geschehen überblicken können. Dabei muss das Management darauf vertrauen, dass diese Entscheidungen nach bestem Wissen und in bestmöglicher Abwägung aller Fakten getroffen wird. Ja, diese Dezentralisierung von Entscheidungsfindungsprozessen sind das Herzstück moderner Organisationen, nicht nur in der Luftfahrt, und brauchen unendlich viel Vertrauen.

Über den Tellerrand hinaus…

Inzwischen habe ich meine zweite berufliche Heimat in der Bankenwelt gefunden und bin erstaunt das alte Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Produktivität auch hier wiederzufinden. Es sind die fast identischen Diskussionen und auch hier, in meiner neuen Welt, sind es Eigenverantwortung, Kommunikation und Austausch, die zu einer lebendigen und transparenten Sicherheits- oder Risikokultur führen. In einer komplexen und dynamischen Welt braucht es eben immer beides um erfolgreich zu sein: Sicherheit und Risiko.

Damit wäre ich nun mit meiner Trilogie rund um Air Ontario am Ende. Den Schuldigen habe ich nicht gefunden. Aber was ist schon Schuld?

Habt einen schönen Sonntag.

Eure Constance

PS: Und ja, lieber Manager, wenn Du nun sagst, dass Du dieses Vertrauen, von dem ich geschrieben habe, unmöglich aufbringen kannst, weil Du doch all die Verantwortung für Sein oder Nicht-Sein trägst, dann verstehe ich Dich. Dann kannst Du nicht anders empfinden, weil es Dein unternehmenskulturelles Umfeld momentan nicht hergibt. Aber an Kultur lässt sich arbeiten. Ich verspreche Dir, dass Du diese Bedenken in einer Kultur der psychologischen Sicherheit nicht mehr so stark empfinden wirst. - Und tatsächliche Kultur machen wir alle, auch Du. Deshalb sei mir an dieser Stelle ein Buchtipp gestattet: “Die angstfreie Organisation” von Amy C. Edmondson, Harvard-Professorin und im letzten Jahr seitens der Thinkers50 Gilde zur wichtigsten Vordenkerin in der Wirtschaft ausgewählt.

Über den wolken…

… sollte das Risiko wohl kalkuliert sein!

"Captain goes solo" hat nichts mit Beziehungskrisen zu tun! - Unfallanalysen aus der Luftfahrt

Warum Flugzeuge abstürzen

In meinem letzten Artikel habe ich Euch von der jungen Sonia Hartwick erzählt, die 1989 als einziges Crewmitglied den Absturz einer Maschine der Air Ontario im kanadischen Dryden überlebt hat. Es ging darum, dass Leadership Followership braucht und darum, was Followership in einer komplexen und dynamischen Welt bedeutet. Sonia hat geschwiegen, geschwiegen aus menschlich nachvollziehbaren Gründen. Sie hat geschwiegen, weil sie nicht als aufmüpfig wahrgenommen werden wollte, weil sie Angst hatte, sich zum Außenseiter zu machen. Gute Gründe zu schweigen. Als junge Frau habe ich aus exakt den gleichen Gründen immer wieder geschwiegen. -Und hatte Glück! Denn mein Schweigen hat niemals eine Katastrophe begünstig, den Weg für einen Flugzeugabsturz bereitet. In Sonias Fall war das anders und ich kann mir gut vorstellen, welch grausame Frage sie sich als einziges überlebendes Crewmitglied nach dem Unglück gestellt haben muss.

Nach der Veröffentlichung meines letzten Artikels haben mich sehr viele Reaktionen erreicht. Danke für all die wertvollen Statements. Und ja, natürlich ist es nicht die alleinige Schuld von Sonia. In einem Umfeld, so komplex wie die Luftfahrt ist es immer die Kombination mehrerer Faktoren, die zu einem Unglück führen. Die einzelnen Akteure haben lediglich die Möglichkeit, diese Fehlerketten zu unterbrechen. Dabei müssen sie häufig entgegen ihrer typischen Verhaltensweisen, entgegen dem, was einfach menschlich wäre, agieren. So entstand der Ansatz des Human Factors Trainings.

Nachdem wir uns also in der letzten Woche Sonias Perspektive und einen kleinen Teil dessen, was guter Followership bedeutet, betrachtet haben, schauen wir uns in dieser Woche einen kleinen Teil dessen an, was guten Leadership ausmacht. Wir betrachten uns den Unfall aus der Perspektive von Kapitän John Morwood, der den Unfall leider nicht überlebt hat. Aus diesem Grund können wir vieles natürlich nur annehmen, aber die ausführlichen Unfallermittlung geben hierfür gute Anhaltspunkte.

Captain goes solo!

“Captain goes solo” - so wird es in einer Studie zu den häufigsten Unfallfaktoren in der zivilen Luftfahrt des National Transportation Safety Board (NTSB) der USA beschrieben. Und nein, das bezieht sich nicht auf das Liebesleben des Kapitäns. “Captain goes solo” beschreibt das Phänomen, dass der Kapitän in Momenten, in denen er eigentlich auf sein Team und dessen Input angewiesen wäre, um maximal erfolgreich zu agieren, sein Ding macht und sein Team als Ressource ausblendet. Ziemlich häufig geht das gut, aber wann immer bereits der Fehlerteufel Einzug gehalten hat, trägt dieses Verhalten maßgeblich dazu bei, dass alles schließlich gehörig schief geht. Im Fall des Crashs von Air Ontario in Dryden bedeutete es, dass 24 Menschen ihr Leben verloren, Menschen mit Träumen, Hoffnungen, Plänen, mit Familien und Freunden, die um sie trauerten.

Warum es passiert, dass ein Kapitän (oder jede x-beliebige andere Führungskraft) sein oder ihr Ding macht, wird in meinen Workshops und Schulungen immer wieder heftig diskutiert. “Weil er/sie sich für besser oder überlegen hält, oder die anderen gar für zu doof oder zu unerfahren” sagen die einen. “Weil das Team keine Verantwortung übernimmt und passiv bleibt, bleibe ihm/ihr nichts anderes übrig, als selbst aktiv zu werden” sagen die anderen. Beides ist möglich, sage ich.

Lasst uns zurück in den März 1989 reisen und uns gemeinsam mutmaßen, was es bei Kapitän Morwood war.

Eine Fehlerkette wie aus dem Lehrbuch…

Kapitän Morwood, ein erfahrener Kommandant, freut sich am Morgen seines letzten Tages eines mehrtägigen Einsatzes sicher schon auf den Familienurlaub, der am nächsten Tag antreten möchte. Es ist noch winterlich in Kanada, als sich der Kapitäne gemeinsam mit seiner Crew auf den Weg zum Flughafen macht. Der Plan ist von Thunder Bay über Dryden nach Winnipeg zu fliegen. Alles ist minuziös durchgeplant und alle sind bereit, loszufliegen, als ein Dispatcher Kapitän Morwood und seinem Team einen Strich durch die Rechnung macht. Air Canada hat einen Flug abgesagt und zehn zusätzliche Gäste sollen nun auf Kapitän Morwoods Flug mitfliegen. Erstmal kein großes Thema. Allerdings stellt Kapitän Morwood schnell fest, dass er mit den zusätzlichen Gästen und deren Gepäck ein Gewichtsproblem bekommt. Er möchte Gäste ausladen. Es wird jedoch für ihn entschieden, dass er lieber Kerosin enttanken lassen soll. Sicher war der Kapitän alles andere als begeistert. Ein Enttankungsvorgang ist alles andere als alltäglich und braucht Zeit, Zeit die er nicht hat, um seine Gäste pünktlich zu ihren Anschlussflügen nach Winnipeg zu bringen. Ich stelle mir vor, dass Kapitän Morwood sicher schon leicht gestresst ist. Zudem weiß er, dass er nun nicht nur in Thunder Bay Zeit verliert, sondern auch in Dryden, da er dort deutlich länger werde tanken müssen, als ursprünglich vorgesehen, um bis nach Winnipeg zu kommen.

Um 11:55 Uhr ging es endlich los. -Etwa eine Stunde später als geplant. Bereits 45 Minuten später landet er seine Maschine in Dryden, wo weitere Gäste zusteigen und das Flugzeug erneut betankt wird.

Am Flughafen wird Kapitän Morwood dabei beobachtet, wie er ein sehr emotionales Telefongespräch mit der Zentrale seiner Airline führte. Er ist wütend. Es wird laut. Denn er war nicht nur zu spät, weil eine aus seiner Sicht schlechte Entscheidung für ihn getroffen wurde. Zusätzlich wurde seitens des Managements entschieden, das Flugzeug mit einer defekten Auxiliary Power Unit (APU) fliegen zu lassen, eine Art Hilfstriebwerk, das am Boden, wenn die Haupttriebwerke ausgeschaltet sind, Strom liefert. Am Flughafen in Dryden gab es kein Bodenstromaggregat, dass die APU ersetzt hätte. So musste Kapitän Morwood eines der beiden Triebwerke während der gesamten Bodenzeit laufen lassen. Mit laufendem Triebwerk zu betanken, ein sogenanntes “Hot Refueling”, ist an sich schon ausgesprochen risikoreich. Mit Gästen an Bord ist es sicher schwer, die Verantwortung als Kapitän zu übernehmen. Kapitän Morwoods Stresslevel steigt ins unermessliche. So viele Dinge, die es zu beachten gilt und dann sind ja auch noch die Gäste, die nach ihren Anschlussflügen fragen. Alle Augen sind auf Kapitän Morwood gerichtet. Währenddessen schlägt auch noch das Wetter um. Es beginnt zu schneien. Ob Kapitän Morwood das überhaupt zur Kenntnis nimmt, wissen wir nicht. Ich kann mir vorstellen, dass er froh ist, als der Betankungsvorgang ohne Zwischenfälle abgeschlossen ist. Wahrscheinlich will er nun einfach ganz schnell weiter. Er macht eine kurze Ansage an seine Gäste und entschuldigt sich für die Verspätung, geht in sein Cockpit und los geht die Reise, zunächst Richtung Startbahn und schließlich mit Vollgas Richtung Himmel. Der Moment, in dem sich ein Flugzeug gen Himmel erhebt, den Kontakt zum Boden verliert, ist jedes Mal magisch. Ich stelle mir vor, wie Kapitän Morwood abhebt und vielleicht ganz kurz dankbar ist, dieses heftige Chaos hinter sich gelassen zu haben. Die ersten Momente in der Luft laufen ab wie immer. Ganz plötzlich verliert der Flieger jedoch an Höhe. Kapitän Morwood ruft all sein erlerntes Wissen ab, um den Flieger abzufangen. Aber die schneebedeckten Tannen kommen immer näher… Chaos, Panik, Schreie? Ich weiß es nicht. Kapitän Morwood verliert an diesem Tag sein Leben, ebenso wie 23 weitere Menschen, darunter sein Co-Pilot und eine seiner beiden Kabinenkolleginnen. Zurück bleiben die Flugbegleiterin Sonia, verletzte und traumatisierte Passagiere und 24 Familien, die ihre Liebsten verloren haben.

Natürlich wird nach einem solchen Unglück sehr genau geschaut was passiert ist, wer Schuld am Tod so vieler Menschen trägt. Nicht nur die Angehörigen wünschen sich Aufklärung.

Die Ermittlungen ergaben schließlich, dass sich auf den Tragflächen Eis gebildet hat, das der Kapitän wohl nicht gesehen hat oder nicht sehen wollte. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur dass Stress und Wut dafür sorgen, dass unsere Wahrnehmung immer enggefasster wird. Wir bekommen Scheuklappen und richten all unser Tun auf ein bestimmtes Ziel aus. -Möglichst schnell nach Winnipeg zu kommen… Target Fixation nennen wir das.

Sonia hat das Eis gesehen, ebenso wie einer der Gäste, der Sonias Kollegin angesprochen hat. Keiner hat Kapitän Morwood diesbezüglich angesprochen. Auch der Co-Pilot hat den Kapitän nicht angesprochen, ob sie auf Grund der Wetteränderung nicht doch über eine Enteisung nachdenken sollten. Vielleicht hat der Co-Pilot sich auch nicht getraut, weil er wusste, dass man für die Enteisung beide Triebwerke abschalten musste und diese ohne APU und ohne Bodenstromaggregat nicht wieder hätte starten können. Vielleicht wollte der Co-Piloten seinen Kapitän einfach nicht noch zusätzlich stressen. Menschen, die dem Kapitän am Flughafen in Dryden begegnet sind, sagten übereinstimmend aus, dass der Kapitän sehr gestresst wirkte.

Was bleibt ist die Frage nach der Schuld

Wer nun Schuld am Tod dieser Menschen hat? Die Flugbegleiterin, die nichts vom Eis auf den Tragflächen gesagt hat? Air Ontario als Unternehmen, weil der Kapitän unter Druck gesetzt wurde, nicht frei agieren konnte und weil das Unternehmen entschied, das Flugzeug ohne funktionsfähige APU auf die Reise zu schicken? Das Wetter? Oder Kapitän Morwood, der nicht nach den Tragflächen geschaut hat und statt sein Team als Ressource zu nutzen und nachzufragen, sein Ding gemacht hat? Ich weiß es nicht. -Zumal die Frage nach der Schuld nichts leichter oder gar rückgängig macht.

Die Luftfahrt lernt aus Fehlern

“Diese Bücher sind mit Blut geschrieben!”, sagte mein erster Flight Safety Ausbilder damals, vor 23 Jahren. Diese Bücher, von denen er sprach, sind unglaublich dick und es gibt davon so einige. Man kann Unfälle nicht wieder rückgängig machen, indem man einen Schuldigen definiert. Man kann jedoch aus ihnen lernen um dadurch die Luftfahrt sicherer zu machen. Die Luftfahrt tut das als Ganzes. Aber auch ich ganz persönlich kann aus einem solchen Vorfall lernen. Ich habe mir drei Dinge mitgenommen:

  • Ich möchte ansprechen, wenn ich das Gefühl habe, dass etwas nicht stimmt. Ich möchte mutig sein, mutiger als Sonia. Und ich weiß wie schwer das ist!

  • Wenn ich nicht in der Position bin, eine Entscheidung selbst zu treffen, dann ist es meine Verantwortung, diejenigen, die entscheiden, bestmöglich mit Informationen zu füttern. Nur so wird die Entscheidung gut! Und natürlich kämpfe ich als Coach für eine Dezentralisierung von Entscheidungsfindungsprozessen. Am Ende sollte diejenigen entscheiden, die wirklich an vorderster Front stehen und sehen können, was es braucht.

  • Wann immer ich merke, dass der Stress steigt, möchte ich bewusst darauf achten, was die anderen sagen oder tun. Ich möchte mich trauen, um Hilfe und Unterstützung zu bitten. Ich möchte vermeiden, in einen Tunnel zu fahren…

Diese drei Lektionen funktionieren nicht nur in der Luftfahrt, sondern überall dort, wo ich Dynamik und Komplexität erfolgreich managen möchte. Die Faktoren, die uns auf menschlicher Ebene erfolgreich sein lassen, sind überall die gleichen, ob damals im Flugzeug, oder heute in einem ganz neuen Umfeld. Es sind lediglich die Definitionen von Erfolg, die sich unterscheiden.

Captain goes solo! Constance goes solo?

Vielleicht denkt Ihr ja auch an Kapitän Morwood, wenn Ihr das nächste Mal frustriert und gestresst einfach Euer Ding durchzieht, wütend auf die Kollegen, den Chef, die Umstände, den Kunden oder das Wetter. Es gibt sie immer wieder, diese Situationen, in denen wir glauben, als Einzelkämpfer allein im Chaos überleben zu müssen. Und vielleicht fällt Euch dann ein, dass Kapitän Morwood nicht alleine war. Er konnte seine Crew einfach nicht sehen, weil er nicht bewusst nach ihnen geschaut hat. Er hat sich selbst in eine Isolierung manövriert. Aber jeder von uns hat eine Crew! Glaubt mir. No man is an island! Manchmal muss einfach nur ganz genau hinschauen und mutig sein.

Genießt Euren Sonntag.

Eure Constance

Captain goes solo

… und die Kabine ist unter Druck?