Warum es ohne Konflikte niemals zu High Performance kommt

Die zweite Dysfunktion (agiler) Teams: Angst vor Konflikten

All jene unter euch, die meinen Blog regelmäßig lesen, erinnern sich sicher noch daran, dass ich in der letzten Woche die fünf großen Dysfunktionen agiler Teams vorgestellt habe. Während ich mich in der letzten Woche schließlich auf die erste Dysfunktion, den Mangel an Vertrauen, fokussiert habe, weil diese Dysfunktion für mich so etwas wie die Mutter aller Dysfunktionen ist, möchte ich mich in dieser Woche mit der zweiten Dysfunktion, der Angst vor Konflikten, auseinandersetzen. Diese Dysfunktion steht völlig zurecht auf Platz zwei der Liste, da ohne Konfliktfähigkeit, das heißt ohne die Fähigkeit, Konflikte auszutragen, keine High Performance entstehen kann. Warum? Weil man ohne, dass man sich über unterschiedliche Meinungen und Ansichten auszutauschen, diesen wertvollen Input nicht zum Wohle des Teams nutzen kann. Oder wie Winston Churchill es ausgedrückt hat: “Wenn zwei Menschen immer die gleiche Meinung haben, ist einer von beiden überflüssig.” Ferner ist es so, dass ohne offene Auseinandersetzungen schwelende Konflikte im Team nicht aufgearbeitet und gelöst werden können. Ist das der Fall, wie soll man in einem Team blind zusammenarbeiten? Wie soll ich voller Vertrauen und auf meine Arbeit fokussiert Höchstleistung erbringen, wenn persönliche Bedürfnisse nicht eingebracht werden können, unterschiedliche Sichtweisen nicht ausgetauscht werden und Ärger übereinander einfach heruntergeschluckt wird? Richtig, gar nicht! All diese “rosa Elefanten” halten mich mal mehr und mal weniger von dem ab, was ich eigentlich tun sollte.

Merkmale von Teams mit Konfliktangst

Wissend, dass eine angemessene Konfliktkultur nun wichtig für die Performance eines Teams ist, stellt sich nun die Frage, woran ich als Vorgesetzter, Teamleiter, (Agile) Coach, Scrum Master, Product Owner, etc. merken kann, dass mein Team durch mangelnde Konfliktfähigkeit in seiner Performance gehemmt wird? Ich erzähle euch mal, wann ich als Agile Coach hellhörig werde:

  1. Taktieren hinter dem Rücken der Betroffenen stehen an der Tagesordnung: zum Beispiel werden in Einzelgesprächen mit mir als Coach, mit den Scrum Master, dem Product Owner oder dem Vorgesetzten Probleme benannt, die in Teamgesprächen jedoch nicht erwähnt werden. Insgesamt wird häufig übereinander gesprochen und der Flurfunk läuft sehr hochfrequent.

  2. Meetings sind eher langweilig und formal: eigentlich belanglose oder untergeordnete Themen werden in epischer Breite besprochen, ohne jedoch des Pudels Kern zu benennen und insgesamt wird am liebsten über rein formale Themen gesprochen. Persönliches und Zwischenmenschliches hat keinen Platz.

  3. Kontroverse Themen, die wichtig für den Erfolg des Teams sind, werden weitestgehend ignoriert: kontroverse Themen werden nur in Einzelgesprächen benannt, in Meetings und der täglichen Arbeit jedoch ausgeblendet. Auch wichtige Entscheidungen werden gerne so lange ignoriert, bis sie jemand anderes für das Team trifft (hier gerne der Chef, der Scrum Master, der Product Owner). Selbstverständlich werden die getroffenen Entscheidungen anschließend ausführlich diskutiert und in Frage gestellt. Es versteht sich von selbst, dass das nicht offen, sondern hinterm Rücken getan wird!

  4. Unterschiedliche Meinungen oder Perspektiven werden kaum gehört. Lieber wird geschwiegen.

  5. Die einzelnen Teammitglieder verbringen viel Zeit mit zwischenmenschlicher Absicherung und persönlicher Selbstdarstellung: in Meetings werden vor allem Erfolge und unkritische Themen hervorgehoben. Positive Aspekte werden gerne als persönliche Erfolge verkauft, während für negative Aspekte gerne schon im Vorfeld Ausreden und Entschuldigungen zurechtgelegt werden.

Und? Habt ihr etwas wiedererkannt?

Ich muss gestehen, wenn ich derartige Listen runtertippe, bekomme ich ein ums andere Mal Gänsehaut, weil ich natürlich das ein oder andere wiedererkenne. Mal habe ich es in Teams erlebt, mal habe ich es sogar selbst getan. Die Wahrheit ist nämlich, dass wir Menschen alle so aufgestellt sind, dass wir Konflikte tendenziell nicht toll finden und würden wir vorher gefragt werden, ob wir diesen oder jenen Konflikt haben möchte, würden wir diese Frage sicher klar mit Nein beantworten. Wir alle müssen unseren inneren Schweinehund überwinden, um potenziell konfliktträchtige Themen zu benennen. Jedoch ist den meisten von uns sicher klar, dass genau das nicht nur im privaten, sondern auch im beruflichen immanent wichtig ist, um erfolgreich zu sein. Schaffen es ganze Teams nicht, ihre inneren Schweinehunde zu überwinden und baden dafür lieber in einer oberflächlichen Harmonie, hat das nicht nur negativen Einfluss auf die Produktivität dieses Teams, sondern auch auf die Kreativität und Innovationskraft. Als Führungskraft, Product Owner, Scrum Master oder eben auch als (Agile) Coach muss ich hier aktiv werden.

Was kann man denn schon tun, als Coach oder Führungskraft

In so einer Situation ist guter Rat natürlich teuer und glaubt mir, auch für eine Coach und Mediator wird das niemals zur Routine, also zu mindestens nicht für mich. Steht ein konkreter, unausgesprochener Konflikt im Raum, muss dieser gelöst werden, eh er die Atmosphäre nachhaltig schädigt. Der Profi hierfür ist der Mediator und auch Coaches sind durchaus in der Lage, ein entsprechendes klärendes Gespräch zu moderieren. Liebe Führungskraft, wenn du dich mir einer derartigen Situation überfordert fühlst, ist das absolut OK, wahrscheinlich ist es sogar normal. Hol dir Hilfe!

Ist das akute Problem aus der Welt geschafft, empfehle ich einen Workshop, der im ersten Schritt aufzeigt, woher unterschiedliche Meinungen und Perspektiven kommen und warum es gerade diese Unterschiedlichkeit ist, die Teams besonders erfolgreich machen. Im zweiten Schritt empfiehlt es sich, den Workshop-Teilnehmern konkrete Tools rund um das Thema Kommunikation, Konfliktmanagement und Feedback mitzugeben. Zu meinem Repertoire gehört hierbei natürlich Schulz von Thun, die Konflikteskalation nach Glasl, das Harvard Prinzip, gegebenenfalls Gewaltfreie Kommunikation, auf jeden Fall aber das Drei-Welten-Modell von Bernd Schmitt und das WWW-Prinzip als Struktur für ein Feedback. Über alles habe ich im Rahmen meines Blogs bereits berichtet. Also blättere gerne zurück!

Darüber hinaus ist es wichtig, im Anschluss an den Workshop für Nachhaltigkeit zu sorgen. Als Coach ist es sinnvoll, mit besonders konfliktscheuen, ruhigen oder unsicheren Mitarbeiter das Einzelgespräch zu suchen. Für das gesamte Team empfehle ich regelmäßige Debriefings oder Retrospektiven, in denen die Zusammenarbeit besprochen wird. Derartige Termine sind gute Möglichkeiten für Coaches, potenzielle unausgesprochenes durch strategisch kluge Moderation ans Tageslicht zu befördern. Je häufiger die Kollegen die Erfahrung machen, dass Meinungsverschiedenheiten kein Drama sind, sondern mit Team gelöst werden können, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass der Coach als Moderator nicht mehr benötig wird! Tja, gute Coaches schaffen sich mit der Zeit eben leider selbst ab!

In diesem Sinne wünsche ich euch einen schönen Sonntag! Genießt den Sommer! Wir haben lange genug auf ihn gewartet!

Eure Constance

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