Organisationskultur

Wer ein Gehirn hat, hat Vorurteile! -Punkt!

Klischees über Klischees

Frauen können nicht einparken, Männern geht es immer nur um Sex, Benz-Fahrer haben die eingebaute Vorfahrt, Naturwissenschaftler sind auf der zwischenmenschlichen Ebene unbeholfen, Mädchen sind nicht gut in Physik und Jungs sind nicht gut in Sprachen, schlanke Frauen sind zickig und dicke lustig… Ich könnte sie beliebig fortsetzen, diese Liste von Vorurteilen. Ich bin übrigens Stewardess, oder wenigstens war ich das über einen ziemlich langen Zeitraum meines Lebens. Was sagt das über mich aus? Wahrscheinlich nichts, außer, dass ich offensichtlich gerne reise und mich unter Menschen wohl fühle. Dennoch spielt Schubladendenken eine große Rolle in unserem Leben. In der Business-Welt nennt man diese Schubladen inzwischen Unconscious Bias, die unbewusste Voreingenommenheit, die maßgeblich darüber entscheidet, wie wir unser berufliches Umfeld wahrnehmen, wen wir sympathisch finden und unterstützen und wem wir misstrauen. Basierend auf unserer unbewussten Voreingenommenheit treffen wir Entscheidungen, manchmal sogar richtungsweisende Entscheidungen. In Bewerbungsgesprächen beeinflussen sie uns ebenso wie in Meetings oder Beurteilungssituationen. Ist das Fair? Nein! Kann das für eine Unternehmen in der Gesamtbetrachtung von Nachteil sein? Ja! Sollten Organisationen sich mit diesem wichtigen Thema auseinandersetzen? Auf jeden Fall! - Aber wie? Vielleicht, indem sie die Existenz dieser Voreingenommenheit zunächst einmal uneingeschränkt akzeptieren und auch verstehen, dass diese Form der Voreingenommenheit keineswegs unprofessionell ist und auch nicht weggezaubert werden kann. Hierfür ist es sicher hilfreich zu verstehen, woher dieses Schubladendenken kommt.

Vorurteile als Überlebensstrategie

Um zu verstehen, warum Menschen gerne und vor allem auch unbewusst in Schubladen denken, ist es hilfreich ein paar Jahre zurück in die Steinzeit zu reisen. Hier waren diese Vorurteile eine wichtige Überlebensstrategie. Denn wenn der Steinzeitmensch einem Säbelzahntiger begegnete, überprüfte er für gewöhnlich nicht, ob es sich bei diesen speziellen Säbelzahntiger vielleicht um ein ausgesprochen freundliches Exemplar seiner Gattung handelte. Beim Anblick der Rund 20 Zentimeter langen Säbelzähne war unser Steinzeitmensch gut beraten nicht lange nachzudenken und die Flucht zu ergreifen.

Ich gehe davon aus, dass die Steinzeitmenschen, die vorher noch überprüfen wollten, oder dieser Säbelzahntiger nicht doch vielleicht nett ist, weil sie es unfair fanden, alle Säbelzahntiger in eine Schublade zu stecken, gefressen wurden und so ihre von differenzierter Betrachtung geprägte Gene nicht weitergeben konnten.

Im Umgang mit Angehörigen fremder oder feindlicher Stämme griff dieser Mechanismus übrigens auch.

Das heißt also ursprünglich waren Vorurteile überlebenswichtig. Klar hängt unser Überleben heute nicht mehr von der Flucht vor Raubkatzen ab (also zumindest im Regelfall). Nichtsdestotrotz hat unser Gehirn sich über Jahrmillionen das Schubladendenken als Erfolgsstrategie abgespeichert und auch der beste Business Trainer wird das unseren Gehirnen nicht abtrainieren.

Guter Rat ist teuer! -Selbstreflexion ist jedoch kostenlos

Warum und wo überall in unserem Leben Vorurteile glasklare Nachteile mit sich bringen, weil sie unseren Horizont und unser Denken einschränken, muss ich sicher nicht noch einmal wiederholen. Vielmehr sollte uns die Frage umtreiben, wie wir damit umgehen sollen, dass wir ein Stück weit von Vorurteilen gesteuert werden. Der erste wichtige Schritt ist wie gesagt, sich selbst einzugestehen, dass auch wir nicht frei von Vorurteilen sind. Punkt! Wer ein normal funktionierendes Gehirn hat, hat Vorurteile! Habe ich das für mich verinnerlicht, kann ich mich im nächsten Schritt auf die Suche nach meinen eigenen Vorurteilen machen. Selbstreflexion braucht keinen Trainer und kostet kein Geld. Alles was wir dafür brauchen, ist die Einsicht, nicht alles was wir den lieben langen Tag so denken, auch uneingeschränkt zu glauben. Wer sich selbst mutig hinterfragt wird dabei ganz sicher auch Muster erkennen. Ich zum Beispiel habe ein Thema mit kleinen, zierlichen, mädchenhaften Frauen. Sie hatten bei mir sehr lange einen wirklich schweren Stand. Dieses Schubladenmuster habe ich dem Umstand zu verdanken, dass ich bereits mit drei Jahren einen Kopf größer war als alle anderen dreijährigen Mädchen im Kindergarten. Gab es Streit um ein Spielzeug musste ich mir immer anhören, dass ich doch vernünftig und nachgiebig sein solle, immerhin sei ich doch die Große! - Fuck! Ich war drei! Aber auf diese Weise hat mein kluges Gehirn gelernt, das kleine Mädchen immer das bekommen, was sie wollen und deshalb weniger durchsetzungsfähig und leistungsstrak sind wie große Frauen! Verrückt ist, dass die durchsetzungsfähigste, leistungsstärkste junge weibliche Führungskraft, die ich momentan begleiten darf, eine zauberhafte, mädchenhafte, kleine Frau ist! -Eine verflixte Urgewalt, die so viele in den Schatten stellt und so ausdauernd kämpfen kann.

Es hilft also, bewusst Gegenbeispiele für Vorurteile zu suchen. Dabei darf ich mir auch helfen lassen. Das ist noch einfacher als Selbstreflexion, wenn ich nur offen dafür bin. An dieser Stelle kommen kognitiv diverse Teams ins Spiel. Wie großartig, wenn ich Menschen um mich herum habe, die andere Denkmuster haben und mir vielfältige Angebote unterschiedlicher Perspektiven machen. Wie gesagt, ich muss einfach nur offen dafür sein. Denn Diversity ist so viel mehr als Menschen unterschiedlicher Herkunft willkommen zu heißen oder Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung oder Identität zu respektieren.

Und jetzt gehts in die Sommerpause!

Mit diesem wunderschönen Gedanken geht es für mich in eine kurze und späte Sommerpause. Die Ex-Stewardess fliegt natürlich weit, weit weg! Neue Kulturen kennenlernen, neue Welten entdecken und den eigenen Horizont erweitern. Ich freue mich auf eine Auszeit im wunderschönen Sansibar. Die kreative Pause wird mir gut tun, um mit neuen Ideen und vollen Akkus zurück zu kommen.

Den nächsten Blog gibt es am 08. Oktober. Bis dahin wünsche ich euch eine gute Zeit.

Eure Constance

Alle geleich und alle gut?

Mit Nichten! Wer ein Gehirn hat hat Vorurteile. -Oder warum sind Kicker-Figuren alle männlich?

Zwischen Angst und Mut liegt nur die Bewertung

Ein kurzer Blick zurück

In der letzten Woche habe ich mein einjähriges Projekt zur Verbesserung der subjektiv empfundenen psychologischen Sicherheit in Zusammenarbeit mit wundervollen Kolleginnen der Universität Maastricht zu Ende gebracht. Die abschließende Post-Study läuft noch und ich lasse dieses Jahr gerade Revue passieren.

Im Kern ging es um das, um was es mir immer geht, um meinen ganz eigenen Purpose: Um Menschen! Ich möchte, dass meine Arbeit einen Beitrag dazu leistet, dass Menschen (noch) ein klein wenig zufriedener, sicherer, glücklicher und ausgeglichener sind. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Gesellschaften wie Organisationen stärker und zukunftsfähiger macht. Das Gefühl der psychologischen Sicherheit stellt dafür eine elementare Rahmenbedingung dar. Um dieses Gefühl auf organisationaler Ebene zu stärken habe ich mit Teams und Führungskräften gearbeitet, denn beide leisten ihren Beitrag für diese kulturelle Veränderung innerhalb einer Organisation. Ich habe mich auf das Thema Feedback und Feedback-Kultur fokussiert, denn wenn mit mir gesprochen wird und nicht über mich, fühle ich mich sicher. Ich fühle mich sicher, wenn ich weiß, dass meine Kollegen wohlwollend beobachten, was ich tue und mich im Zweifelsfall vor einem Fehler bewahren, in dem sie mir ihr Feedback geben, ihre Perspektive darlegen. Feedback, das miteinander reden, bringt Menschen in den Austausch, sorgt für Verständnis. So wird eine ehrliche und offene Feedback-Kultur zur Basis für psychologische Sicherheit.

Die Sicherheit in mir

Aber woher kommt der Mut, Feedback zu geben? Natürlich kommt er aus der Gewissheit, sich in einem Umfeld zu bewegen, in dem es OK ist, offen und ehrlich zu sprechen. Eine Kultur der psychologischen Sicherheit auf Team- oder Organisationsebene unterstützt eine offenen Feedback- und Fehlerkultur. -Die Voraussetzung für lernende Organisationen, die in unserer dynamischen Zeit geradezu überlebenswichtig sind. So landen wir zwangsläufig bei der Frage nach dem Huhn oder dem Ei! Ohne psychologische Sicherheit keine Feedback-Kultur und ohne Feedback-Kultur keine psychologische Sicherheit. Ein gefühltes Dilemma.

Doch zum Glück ist da ja noch mein Purpose, mein Nordstern: Der Mensch! Denn psychologische Sicherheit ist skalierbar und sie beginnt in mir selbst. Fühle ich mich sicher und schaffe ich es in mir zu ruhen, in vollstem Vertrauen auf meine Ressourcen, dann brauche ich kein bestimmtes Umfeld, das ich ja ohnehin nicht beeinflussen kann. Wenn ich zu meinem eigenen inneren Leuchtturm werde, dann kann mich kein Umfeld, keine Dynamik und keine Komplexität dieser Welt mehr aus meiner eigenen inneren Bahn werfen.

Die große Frage ist und bleibt, wie ich dieses Vertrauen in mich selbst finde. Die Angebote sind mannigfaltig und Achtsamkeit in jeder Form, ebenso wie Selbstliebe sind wichtige Voraussetzungen.

Im Laufe des letzten Jahres haben wir ein zusätzliches Angebot gemacht, ein sehr neurowissenschaftliches Angebot, das vielleicht im Business auf höhere Akzeptanz stößt, als Meditation oder andere Achtsamkeitsübungen.

Die Polyvagal Theorie

Die Polyvagal Theorie nach Stephan Porges ist eine Kombination von evolutionsbiologischen, neurowissenschaftlichen und psychologischen Konzepten, die sich mit der Regulation von Emotionen im Zusammenhang mit Angstreaktionen beschäftigt. Im Prinzip untersucht Porges das Erleben von Sicherheit und Verbundenheit in Bezug auf Kampf-/Fluchtreaktionen und Schock- oder Angststarre. Ganz global gefasst geht es um Stress.

Das sympathische und das parasympathische Nervensystem ist sicher vielen ein Begriff. Während das sympathische Nervensystem in Phasen höherer Erregung und Stress aktiviert wird, wird das parasympathische Nervensystem im Zustand der Entspannung aktiviert. Beides ist wichtig und hilfreich. Beide Systeme werden über unseren Vagusnerv angesteuert, der ebenfalls wiederum aus zwei Bereichen besteht: Der ventrale Vaguskomplex, der sich vor allem über die Vorderseite unseres Körpers erstreckt, sorgt für Entspannung, soziale Aktivierung und Sicherheit. Der dorsale Vaguskomplex erstreckt sich über unsere Körperrückseite und sorgt in Gefahrensituationen, oder in Situationen von subjektiv empfundener Unsicherheit für Aktivierung und die berühmte Kampf-/Fluchtaktivierung, sowie in lebensbedrohlichen Situationen für Immobilisierung, das weniger bekannte Freeze-Phänomen.

Was kann ich nun tun, wenn ich mich unsicher fühle, mein dorsaler Vaguskomplex aktiviert ist? Nun, im ersten Schritt muss ich es erkennen, um dann bewusst meinen ventralen Vaguskomplex zu aktivieren. Wie ich das tue? Ich nutze die Vorderseite meines Körpers und atme tief in den Bauch, oder ich ziehe die Mundwinkel zum Grinsen nach oben (ja, die Muskeln, die Deine Mundwinkel noch oben ziehen, sind mit Deinem ventralen Vaguskomplex verbunden). Oder ich gehe in Kontakt mit den Menschen um mich herum, durch bewusste Gesten, Blicke in die Augen, Berührungen. Mit Menschen in Verbindung gehen stimuliert ebenfalls unseren ventralen Vaguskomplex.

Gelingt es mir so, mein Nervensystem zu regulieren, sorge ich für die Ruhe und Ausgeglichenheit tief in mir, die ich brauche um mir meiner Ressourcen bewusst zu sein und so auch entspannt Feedback zu geben, kritisch zu sein, den Mund aufzumachen. -Total sicher und völlig angstfrei!

Aber ein Leben so ganz ohne Stress? - Alles eine Frage der Bewertung!

Für meine Arbeit hat Porges’ Theorie eine kleine Schwachstelle. Ja, es ist hilfreich, sein Stresslevel bewusst regulieren zu können. Außerdem ist es auch verdammt gesund. Aber ein Leben so ganz ohne Stress? Will ich das? Wäre das überhaupt gut für mich?

Meine Kollegin und Freundin Corinna Rott von der Universität Maastricht forscht hierzu im Rahmen ihrer Dissertation. In Studienreihen mit Führungskräften hat sie herausgefunden, dass viele der Teilnehmenden Stress als hilfreich erachten und die Lösung für sie keineswegs sein kann, ein Berufsleben ohne Stress zu führen. Wir wurden von der Evolution nicht umsonst mit beiden Systemen ausgestattet. Stress macht uns aufmerksamer, leistungsfähiger, besser. Manchmal passiert es jedoch, dass dieser Stress so anwächst, dass er in uns das Gefühl der Unsicherheit oder Angst hervorruft. Diese Angst ist leider nicht hilfreich, weder im Job, noch privat. Also Stress doch wieder runter regulieren?

Zwischen Angst und Mut liegt nur die Bewertung

Dank Corinna habe ich Kelly McGonigal von der Sanford Universität in San Francisco kennenlernen dürfen , die ihren Fokus nicht mehr auf das Reduzieren von Stress richtet, sondern auf die Bewertung von Stress. Denn der Unterschied zwischen Angst und Freude liegt in der Bewertung. Physiologisch ist sich beides gleich. Ich versuche das mal anhand eines Beispiels zu erklären: Vielleicht fährst Du sehr gerne Achterbahn. Ich mag es nicht. Mir macht es Angst. Manchmal fahre ich aus einer Art Gruppendruck trotzdem mit und besonders schön sind dann diese Fotos, die man im Anschluss von sich selbst während der Fahrt kaufen kann. Meine sehen für gewöhnlich so aus, dass ich um mich herum fröhliche, lachende Gesichter sehe, während mein eigenes entsetzt, fast schmerzverzerrt aussieht. Aus diesem Grund habe ich mir noch nie so ein Foto gekauft.

Physiologisch gesehen befinden sich jedoch alle auf dem Foto in einem vergleichbaren Zustand. Ich bewerte ihn eben nur nicht als Spaß, sondern als Gefahr. Interessant ist, dass viele der Menschen, mit denen ich Achterbahn gefahren bin, Angst oder Unwohlsein empfinden, wenn sie einen Vortrag vor hunderten von Menschen halten sollen. Sie sagen, sie würden dann so unruhig, müssten häufiger zur Toilette, bekämen feuchte Hände und einen trockenen Mund, das Herz würde anfangen zu rasen. Das würde sie sehr verunsichern. Ich spüre exakt die gleichen Symptome vor großen Vorträgen oder wichtigen Workshops, aber ich bin der Meinung, dass diese Symptome Teil meiner Vorfreude sind. Denn ich liebe derartige Termine! Und ich weiß, dass meine Anspannung im Vorfeld mich nur noch aufmerksamer und besser sein lässt.

Und denke ich an meine Hochzeit, waren meine Hände klatschnass, ich konnte kaum richtig atmen, mein Herz hat wie wild geklopft und sind wir mal ehrlich, hier wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass ich Angst haben könnte. Ich befand mich in einem Zustand breit grinsender Vorfreude…

Wenn Sie sich dazu entscheiden, Ihre Stressreaktion als hilfreich zu betrachten, schaffen Sie die biologische Voraussetzung von Mut.
— Kelly McGonigal

So einfach und so kompliziert. So könnte ich auch die körperlichen Reaktionen, die ich habe, bevor ich mich traue (oder eben auch nicht) offen und ehrlich meine Meinung zu vertreten oder Feedback zu geben, als hilfreiche Unterstützung und eben nicht als Alarmsignal bewerten und einfach mutig Feedback geben.

Dass dies möglich ist, zeigen uns seit Wochen all die unglaublich mutigen Mädchen, Frauen und Männer im Iran. Ich habe mich mehr als einmal gefragt, ob ich diesen Mut, diesen Todesmut, aufbringen würde, lebte ich dort. Ich habe mir oft vorgestellt, dass ich zu ängstlich sein würde. Aber wahrscheinlich hat Kelly McGonigal recht und wir erleben im Iran gerade Menschen, die sich beflügeln lassen, die kämpfen und ihre körperlichen und emotionalen Empfindungen als positiv und unterstützend bewerten. Sie wollen einen kulturellen Wandel herbeiführen. Dafür brauchen sie Mut, keine Angst. Denn ein jeder kultureller Wandel braucht Mut und er wird von Menschen getragen, die diesen Mut zur Veränderung tief in sich finden! -Nicht nur gesellschaftlich, sondern auch in Organisationen.

Wie einfach erscheint doch der (kulturelle) Wandel, den ich in Wirtschaftsorganisationen zu unterstützen versuche, im Vergleich zum sich vollziehenden kulturellen Wandel im Iran! Auch deshalb mache ich immer weiter. Denn ich weiß, dass es funktioniert. Jede*r einzelne von uns trägt in sich, was es dafür braucht. Wir müssen uns nur entscheiden mutig zu sein.

Habt einen schönen Sonntag und seid mutig!

Eure Constance

Denn alles beGinnt bei mir

Sei mutig! - Nicht ängstlich!

Denn wer nicht tanzt ist indiscotabel - Resiliente Organisationen als Erfolgsmodell

Wieviel Perfektion ist perfekt?

Eigentlich hätte ich diese Zeilen schon vor einer Woche tippen sollen. Immerhin habe ich diesen 14 tägigen Rhythmus selbst etabliert und ich freue mich sehr, inzwischen eine gewisse Stammleserschaft zu haben, die sich jeden zweiten Sonntag zum Frühstück auf meine Zeilen freut. Darauf habe ich lang hingearbeitet. Es ist mir unglaublich wichtig, professionell zu agieren und meinem eigenen Anspruch gerecht zu werden. Aber was mache ich letztes Wochenende? Ich tanze einfach so die halbe Nacht durch! Bääm! Blog schreiben war nicht mehr möglich. Absolut indiskutabel und unprofessionell! Und trotzdem habe ich mich bewusst dazu entschieden, in der letzten Woche den Blog Blog sein zu lassen und das Leben zu genießen, einfach so!

Meine Artikel sollen immer eine Reflexion dessen sein, was ich in den vergangenen Wochen erlebt habe und in den letzten drei Wochen hat sich bei mir sehr viel um Stressmanagement, Achtsamkeit und Resilienz gedreht. Wie kann ich tagaus tagein umherlaufen und Menschen zu einer achtsamen Work-Life-Balance animieren, aber selbst wie ein Duracell-Häschen auf Speed durch mein Leben düsen, meine eigene Balance völlig ignorierend? Ich sollte leben, was ich predige und so habe ich in der letzten Woche diese Entscheidung getroffen, die mir nicht leichtgefallen ist. Verrückt, oder?

Resiliente Organisationen

Aber mal von vorne: Woher mein berufliches Interesse an Resilienz, Achtsamkeit, Stressmanagement? In einer dynamischen, komplexen und stark vernetzten Welt, in der gefühlt alles mit allem zusammenhängt, resultiert das Gefühl von Sicherheit insbesondere aus der Fähigkeit, mit Unsicherheit umgehen zu können. Alles scheint in einem stetigen Wandel begriffen und wir Menschen können da schon einmal den Überblick verlieren, uns verloren fühlen, oder diesem stetigen “Change” überdrüssig werden. Jedoch verlangt unsere gegenwärtige Realität von Unternehmen eine schnelle und flexible Reaktionsfähigkeit. Wem es nicht gelingt, sich immer wieder an neue Rahmenbedingung anzupassen, bleibt auf der Strecke. Meckern und Kopf in den Sand ist also keine Option, egal wie verständlich eine solche Reaktion vielleicht ist.

Agilität als Zauberimpfstoff

Natürlich ist dieses Phänomen bekannt und kluge Köpfe habe tolle Ideen und Strukturen entwickelt, um die Dynamik und Komplexität unserer Zeit zu managen. Agilität ist hierbei nicht nur zu einem der bekanntesten Buzz-Wörtern geworden, sondern wird inzwischen geradezu inflationär als Zauberimpfstoff für träge Organisationen gehandelt. Aber reicht diese einmalige Impfung aus? Klar, ist ein Unternehmen agil, dann bedeutet das, es ist anpassungsfähig und flexibel. Agile Prozesse und ein agiles Mindset helfen gegen träge Entscheidungsfindungsprozesse, gegen engstirniges Silodenken und unproduktive Pseudo-Geschäftigkeit. Ist eine Organisation wirklich agil kann sie die stetigen Veränderungen sogar produktiv für sich nutzen. Die Organisation wird zu einer lernenden Organisation und Veränderung wir zum willkommenen Standard.

Allerdings ist Agilität auch ein menschlich durchaus herausfordernder Arbeitsmodus. Der hohe Freiheitsgrad in agilen Organisationen sorgt nicht zwangsläufig für eine hohe Handlungsfähigkeit. Wenn es schlecht läuft, können Menschen sich durch diese Strukturen, die Freiheit und die damit verbundene Erwartungshaltung enorm unter Druck gesetzt fühlen. Wenn Organisationen glauben, es reiche aus, agile Strukturen, Prozesse, Methoden einzuführen, ohne dabei die Menschen angemessen zu begleiten, damit die agile Kultur nicht nur im Code of Conduct steht, sondern auch tatsächlich empfunden wird, kann Agilität zu einer regelrechten Burnout-Falle werden.

Doch auch Menschen wie ich, die in der agilen Arbeitsweise geradezu aufgehen, weil sie die Möglichkeiten und Freiheiten lieben und als großen Motivationsfaktor empfinden, können durchaus in Gefahr sein. - Zum Beispiel, wenn sie dazu neigen, immer wieder über eigene Grenzen zu gehen, sich selbst regelrecht ausbeuten. Fehlt die Balance und wird das eigene Ressourcenkonto nicht regelmäßig aufgefüllt, ist nicht auszuschließen, dass Agilität mit Gesundheit bezahlt wird. Belastungsfalle statt Empowerment! Deshalb musste ich einfach mal tanzen gehen und ich danke Dir, liebe Melli, für Deine wundervolle Kühlschrank-Philosophie, die Du mit mir geteilt hast: Wer nicht tanzt ist indiscotabel! Diesen Magnet brauche ich auch an meinem Kühlschrank!

Resilienz als Möglichmacher

Agilität oder erfolgreiches Arbeiten in einem dynamischen und komplexen Umfeld braucht Resilienz sonst dreht der Mensch doll und tanzt nicht mehr. Resilienz ist im Prinzip eine Voraussetzung für erfolgreiche Organisationen in unserem modernen Businessumfeld. Aber was ist Resilienz überhaupt. Eigentlich kommt der Begriff aus der Physik und beschreibt die Dehnbarkeit einer Feder. Wie weit kann ich eine Feder auseinanderziehen, bis sie nicht mehr in ihren Ursprungszustand zurückspringt? Die Psychologie hat den Begriff dankbar übernommen. Wie viele Einschläge, Veränderungen, Rückschläge hält die Seele aus, ohne langfristig aus der Form zu geraten? Je besser ich hier aufgestellt bin, desto einfacher und schneller kann ich die immer neuen Veränderungen verarbeiten und wieder handlungsfähig werden, als Individuum und als Organisation.

Der Sprung in die Wirtschaftspsychologie war schließlich kein besonders großer. In einer zunehmend dynamischen (Wirtschafts-) Welt geht es zunehmend darum, sich schnell und flexibel an immer neu Voraussetzungen anzupassen. Es braucht resiliente Organisationen, die sich von allen möglichen Einschlägen schnell erholen um wieder ins Tun zu kommen. Eine Studie des Zukunftsinstituts kommt sogar zum Schluss, dass Resilienz die zentrale Zukunftskompetenz überhaupt sei. Aber wie bastelt man sich eine resiliente Organisation? Nun eigentlich ganz einfach: Eine resiliente Organisation besteht aus resilienten Bereichen, die wiederum aus resilienten Teams bestehen, die wiederum durch resiliente Mitarbeitende geformt werden. Eine resiliente Organisation entsteht also immer aus resilienten Individuen. Ja, auch Resilienz ist skalierbar.

Es werde also Resilienz…

Möchte ich mir eine resiliente Organisation basteln, beginne ich mit meinen einzelnen Mitarbeitenden. Diese individuelle Resilienz entsteht nur, wenn ich jeden Menschen als soziales Wesen begreife. Hier ist ein holistischer Ansatz im Umgang mit den Mitarbeitenden unabdingbar. Jede*r einzelne muss das Gefühl haben, sie oder er selbst sein zu dürfen: individuell, offen und ehrlich. Der Ansatz sind sogar so ganzheitlich, dass ich offen und ehrlich darüber sprechen könnte, wenn mir alles zu viel ist, ich mich überfordert fühle oder einen Fehler gemacht habe. Ganz schön beängstigend, vor den Kollegen derart blank zu ziehen… Natürlich führt uns auch die Frage nach der Resilienz zu meinem Kernthema der psychologischen Sicherheit nach Amy C. Edmondson. Denn nur in einem psychologisch sicheren Umfeld trauen wir uns, uns selbst wirklich und tief zu reflektieren, uns selbst so kennenzulernen, dass wir wissen was uns guttut und wie wir uns in kritischen Situationen selbst positiv und ehrlich motivieren können, oder wie wir unseren individuellen Stress und unsere Ängste leveln können. Es ist natürlich auch ein psychologisch sicheres Umfeld, das uns ein experimentelles Tun, ein kreatives ausprobieren ermöglicht. Ohne psychologische Sicherheit keine resiliente, lernende Organisation.

Mit dieser Herleitung habe ich in den letzten Wochen immer wieder vor allem mit Führungskräften gearbeitet. Was kann ich als Führungskraft konkret tun, um ein psychologisch sicheres und resilientes Umfeld zu fördern? - Einen Beitrag dazu zu leisten, dass die gesamte Organisation resilienter wird? Die Antwort ist ebenso motivierend wie frustrierend. Als erstes muss ich bei mir anfangen. Mein ganz individuelles Stressempfinden und meine Strategien im Umgang mit Stress haben besonders in einer Führungsposition einen besonderen Einfluss auf die Teamdynamik und den subjektiv empfundenen Leistungsdruck eines jeden Mitarbeitenden. Ein*e jede*r sollte sich regelmäßig sehr ehrlich fragen, wie es um ihr oder sein Stresslevel bestellt ist. Um hierfür Anhaltspunkte zu geben, haben wir in einem ganz besonderen Workshop in Zusammenarbeit mit zwei wundervollen Forscherinnen der Universität Maastricht mit der sogenannten Polyvagal Theorie nach Stephen W. Porges gearbeitet. Das Ziel war Stress als körperliche Empfindung zu abstrahieren und Möglichkeiten an die Hand zu geben, Stress über Körperarbeit bewusst zu senken. Möchte ich anderen Sicherheit geben, sollte ich mich erstmal selbst sicher fühlen und Stress hat immer etwas mit Kampf und Flucht und somit ggf. auch mit Unsicherheit zu tun.

Im nächsten Schritt rate ich Führungskräften das Thema Stress im Team zu thematisieren, ebenso wie Fehler, Unsicherheiten, Sorgen, Ängste. Gelingt es mir als Führungskraft, mich als Mensch erlebbar zu machen, werden es mir meine Mitarbeitenden mit einer hohen Wahrscheinlichkeit gleichtun. Spreche ich darüber, dass mir etwas zu viel wird, oder spreche ich über einen Fehler, den ich gemacht habe, setze ich automatisch den Standard für das Miteinander. Ich zeige, dass es zur Teamkultur gehört, Fehler machen zu dürfen, Grenzen zu haben, Sorgen zu teilen. Und nein, keine Angst, das wird ganz sicher nicht zu einem Therapiesetting. In den letzten Wochen habe ich gleich mehrere Teams dabei unterstützt, über das Stresslevel und die Belastungen im Team zu sprechen. Einige Teilnehmende haben mir erzählt, dass sie noch nie zuvor in einem Team auf der Arbeit so konkret über ihr Stresslevel und ihre Belastungen gesprochen haben und dass es gutgetan hat.

Ich weiß, das sind ziemlich kleine Schritte, aber lieber zwei kleine Schritte, die auch gegangen werden, als den großen Sprung, für den einem am Ende entweder der Mut oder die Sprungkraft fehlt.

Und Perfektion…??? Ja, das ist so eine Sache. Irgendwie streben wir alle danach, erreichen sie gefühlt nie und arbeiten uns deshalb an ihr ab. Denn wie schon Alfred de Musset sagte:

“Perfektion existiert nicht. Dies zu verstehen ist der Triumph menschlicher Intelligenz. Sie besitzen zu wollen ist die gefährlichste Form des Wahnsinns.”

Nun ja, in meinem Fall liegen Genie und Wahnsinn wohl noch recht dicht beisammen!

Ich wünsche Euch einen schönen Sonntag. Vielleicht tanzt Ihr ja ein wenig…

Eure Constance

Resilienz 2.0

… denn nicht zu tanzen ist indiscotabel…