Fliegt doch erstmal los! -Über Vertrauen und Flügel

Was ist wenn ich falle?“ fragt die Vierjährige. „Und was ist, wenn Du fliegst?“ entgegnet ihr Papa und lächelt. So radelt sie zum erstem Mal in ihrem Leben ganz ohne Stützräder los. Und nur fliegen könnte schöner sein! Danke Papa.

Wenn mich ein Thema findet

Ich finde die Themen für meine Artikel auf den unterschiedlichsten Wegen. Meistens ist es tatsächlich so, dass ich in meinem Blog inhaltlich das verarbeite, das mich in der vergangenen Arbeitswoche am intensivsten beschäftigt hat. Manchmal läuft es jedoch etwas anders. In dieser Woche war das mal wieder der Fall. Mein Thema hat mich in Form dieses wundervollen Fotos gefunden.

“Sei froh! Dein Leben ist schön!”

Auf einer meiner Züge durch die sozialen Medien bin ich über eben dieses Bild gestolpert. Meine Lieblingsfotografin, die wunderbare Katja Kölker (die auch für die Bilder auf meiner Homepage verantwortlich ist -siehe Impressum!), hat es gepostet und ich habe es mehr als nur “geliked”. Ich war schockverliebt weil es mich sehr berührt hat. Katja meinte ganz lapidar, ich solle es mir doch einfach nehmen. Das habe ich getan. -Mit der Ankündigung, ihm einen eigenen Artikel zu widmen! Hier also mein erster Blog für ein Bild und auch für Katja!

Natürlich hatte ich sofort meine eigenen Assoziationen, als ich mir das Bild anschaute. Doch viel spannender, als meine eigenen Gedanken fand ich Katjas Gedanken, als sie dieses Bild schoss. Katja und ich teilen die Vergangenheit in der Luftfahrt und “Fliegt doch erstmal los!” war der heimliche Imperativ unseres damaligen Lebens. Dazu brauchte es Mut, besonders wenn die Reise mal wieder ins Unbekannte ging. Ich ganz persönlich erinnere mich an den Tag, als dieser isländische Vulkan, dessen Namen ich inzwischen zwar aussprechen, aber nicht schreiben kann, ausbrach. Ich war in Kuba und die Gerüchte machten sich breit, dass der Luftraum in weiten Teilen gesperrt werden sollte. Als wir als Besatzung gegen Abend auf unsere Maschine gingen und die Gäste einstiegen, war für keinen von uns klar, wo die Reise enden würde. Relativ klar war, es geht auf jeden Fall nicht nach Frankfurt! Der Plan musste geändert werden! Palma de Mallorca, Salzburg, Nürnberg, Stuttgart, München…? Alles war möglich und davon abhängig, wie sich die Situation in Europa während unserer Reise über den großen Teich entwickeln würde. Das war das erste und einzige Mal, dass ich diesen Slogan “Fliegt doch erstmal los!” auch meinen Gästen schmackhaft machen musste. “Ja, wir fliegen jetzt erstmal los und nein, ich kann Ihnen nicht sagen, wo wir wann landen werden. Und nein, Ihre Familie oder Abholer können Sie nicht von unterwegs anrufen. Aber vertrauen Sie uns, es wird sich alles fügen…”

Ihr könnt Euch vorstellen, was in der Flugzeugkabine los war. Oder nein, könnt Ihr wahrscheinlich nicht. Denn das muss man selbst erleben, um es zu verstehen. In diesem Moment wurde mir klar, dass man, um erstmal loszufliegen, nicht nur Mut braucht, sondern auch Vertrauen, aus dem der Mut fürs Unbekannte wachsen kann.

Eine Gedankenreise

Stellt Euch einmal vor, Ihr kommt morgens zur Arbeit und trefft zum ersten Mal auf Eure Kollegen. Alles Fremde! Es ist vier Uhr morgens. Ihr seid müde, weil Ihr schon seit zwei Stunden wach seid. Aber das ist jetzt egal. Ihr setzt Euch an einen Tisch und schaut, was der Tag und das neue Projekt an Aufgaben mit sich bringt. Die Arbeitspositionen werden vergeben. Zum Glück wisst Ihr ganz genau, was Ihr auf der jeweiligen Position zu tun habt. Die Prozesse greifen ineinander. Auch wenn Ihr keine Ahnung habt, wer die Menschen sind, mit denen Ihr dieses neue Projekt stemmen sollt, wisst Ihr ganz sicher, dass Ihr Euch auf sie verlassen könnt, so wie sie sich auf Euch verlassen. Das ist wichtig, denn wenn etwas schief geht, hängen auch schon einmal Menschenleben dran. -Vielleicht Eure eigenen, vielleicht bekommt jemand im Büro einen Herzinfarkt, vielleicht helft Ihr dabei, ein Baby auf die Welt zu holen, oder vielleicht bricht ein Feuer aus, dass Ihr sehr schnell und koordiniert löschen müsst.

Ihr habt noch nie bei einem Herzinfarkt Erste Hilfe geleistet, keiner von Euch. Aber Ihr wisst, dass Ihr Euch uneingeschränkt aufeinander verlassen könnt und gemeinsam selbst diese Situation meistert, weil Ihr Euch Mut und Vertrauen schenkt und weil Euch Prozesse an die Hand gegeben wurden, die Euch Sicherheit geben.

Alles läuft Hand in Hand. Wenn Ihr schneller mit Eurer Arbeit fertig seid, unterstützt Ihr die anderen. In die Pause geht es gemeinsam oder gar nicht. Egal wie müde Ihr seid. Das Team ist wichtiger. Ihr seid füreinander da und passt aufeinander auf und für Außenstehende wirkt Ihr wie eine verschworene Gemeinschaft, die schon seit Jahren in einem Team zusammenarbeitet. Wenn die wüssten, dass Ihr Euch eben erst kennengelernt habt…

Klingt vielleicht komplett erfunden, war aber für Katja und mich lange Jahre gelebte Realität. Wir wurden in eine Kultur der psychologischen Sicherheit, in eine Kultur des Vertrauens, des Miteinanders katapultiert, als wir angefangen haben, Uniform zu tragen. Es war diese Kultur, die uns in den komplexesten und dynamischsten Situationen den Mut gegeben hat, handlungsfähig zu bleiben, Verantwortung zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen. Überlebenswichtig in der Luftfahrt!

Aus diesem Vertrauen (auch in die eigenen Ressourcen) resultierte bei uns beiden schließlich der Mut und der Wille uns weiterzuentwickeln und unsere Flugzeugwelt zu verlassen. - Jeder in seine Richtung.

Ein Leben als Fußgänger…

Katja und ich sind nun beide das, was wir früher als Fußgänger beschrieben haben und jeder für sich erlebt dieses neue Leben natürlich aus den Erfahrungen des alten Lebens heraus. Ich erlebe definitiv weniger Mut, aber vielleicht braucht es den ja auch nicht, da es nicht mehr um Leben und Tod geht! Aber ich erlebe auch weniger blindes Vertrauen. Das vermisse ich definitiv. Denn ohne Vertrauen auch keine Entwicklung und ganz sicher keine High Performance, nach der alle ja so sehr streben. Deshalb möchte ich helfen, Vertrauen aufzubauen. Denn auch außerhalb der Luftfahrt geht es um Bewegung, Fortschritt und Weiterentwicklung. In der Welt der sagenumwobenen New Work wird von lernenden Organisationen geträumt, Organisationen die sich aus sich selbst heraus weiterentwickeln. Dazu braucht es Mut und Vertrauen auf allen Ebenen. Ich bin in der glücklichen Situation, ganz sicher und aus dem eigenen Erleben heraus sagen zu können, dass man dieses Level an Vertrauen tatsächlich erreichen kann, dass es dieses Vertrauen wirklich gibt. Es ist keine Utopie. Es ist real. Dank des Human Factors Trainings habe ich sogar eine Idee, wie man ein solches Vertrauen aufbauen kann, welche Schritte zu gehen sind.

“Sei Froh! Dein Leben ist schön!”

Dieser Gedanke war sehr präsent, als mir vor einigen Tagen ein junger Mann im Rahmen eines Coachings gegenübersaß, mit Tränen in den Augen, die er zu verstecken versuchte. Er würde sich so gerne seinen Kollegen und seiner Chefin anvertrauen, ihnen von seiner belastenden privaten Situation erzählen. Dies sei sicher eine Befreiung. Aber er traue sich nicht, er vertraue nicht. Und so bleibt er für sich, allein, ganz ohne Flügel, dafür mit einer Last schwer wie Blei auf seinen Schultern.

High Performance entsteht so sicher nicht.

Wenn ich in meinen bisherigen fast 23 Jahren im Berufsleben eines ganz sicher gelernt habe, dann dass es nichts Schöneres gibt als zu fliegen… In jedem nur möglichen Sinn! Deshalb sollte es unser Ziel sein, zu vertrauen und Vertrauen zu schenken, Euren Kindern, Freunden, Familie, Kollegen… Denn nur so können wir alle gemeinsam fliegen. Stellt Euch vor, dieser Kollege wäre in Eurem Team und ihr würdet Euch tagein tagaus ärgern, dass er immer mal wieder zu spät zu Meetings kommt und sogar den ein oder anderen Arbeitsfehler gemacht hat. Gemeinsam mit den anderen Kollegen wird der Ärger immer größer, weil Ihr nicht versteht, warum der Kollege sich verändert hat. Vielleicht hat es irgendwann sogar Konsequenzen. Erst viel, viel später erfahrt Ihr, welches tiefe menschliche Tal dieser Kollege durchschreiten musste. Vielleicht denkt Ihr Euch dann, dass Ihr ihn lieber unterstützt hättet, als Euch über ihn zu ärgern, hättet Ihr nur gewusst, was tatsächlich in seinem Leben los war. Oder vielleicht könntet Ihr gerade selbst etwas Unterstützung brauchen… Seid mutig und vertraut einander.

Die Realität ist freundlich und das Leben ist schön, wenn wir uns entscheiden, die Welt so sehen zu wollen, wenn wir uns entscheiden zu vertraue. Wir alle wollen unterstützen, müssen dafür aber verstehen können. Fangt an gemeinsam zu fliegen, Euch weiterzuentwickeln, gemeinsam zu wachsen. - Als Kollegen, Teams und Organisationen.

Und ja, liebe Lesenden, die Realität ist wirklich freundlich, auch wenn nicht weit von hier ein gnadenloser, ungerechter und unbegreiflicher Krieg eine Menge Leid und Schmerz bringt. Denn es ist auch dieser Krieg, der nicht nur in Deutschland für unglaublich viele offene Türen und Herzen sorgt. Die Realität ist freundlich, wenn wir es sind.

Nein Katja, unsere Seelen wollen nicht stillstehen. Fliegen wir erstmal los! -Auch wenn wir vielleicht noch nicht ganz genau wissen wohin. Wir rocken das, denn wir haben gelernt zu vertrauen. Danke für dieses zauberhafte Foto, das mich so wunderbar durch die Woche getragen hat.

Habt einen wundervollen Sonntag!

Eure Constance

Sei Froh! Dein Leben ist schön!

Denn die Realität ist freundlich!